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Was man, sei es durch die Bearbeitung, sei es durch die scenische Technik zu erreichen suchen muß, ist die Beseitigung des Zwischenvorhangs innerhalb der Akte; also entweder gar keine oder doch blitzschnelle Verwandlungen bei offener Bühne. In kurzen Zeitabschnitten stört der Fall des Vorhangs, in längeren ist er umgekehrt erwünscht. Der Fall des Vorhangs zwischen den Akten, mit den dadurch bewirkten kurzen Ruhepausen der Zwischenaktsmusik will ich deshalb noch nicht das Wort reden stört die Sammlung des Publikums erfahrungsmäßig durchaus nicht, und um so weniger, wenn die Pause zugleich einer zeitlichen Unterbrechung der Handlung entspricht. Können wir es uns z. B. ohne Fall des Vorhangs versinnbildlichen, wenn zwischen dem zweiten und dritten Akt des Wintermärchens 16 Jahre als verflossen gedacht werden müssen? Wäre hier das Offenbleiben der Scene erträglich? Ueberhaupt ist der moderne Vorhang in gewisser Beziehung ein wahrer Segen für eine eindrucksvolle Darstellung, indem er den großen Mangel der altenglischen Bühne beseitigt, vor den Augen des Publikums selbst die kompliziertesten Aufstellungen und die auch bei der größten Einfachheit nicht zu vermeidende Herbeischaffung von Requisiten ausführen zu müssen. Man denke sich z. B. an Stelle der prächtigen, ausdrucksvollen Scenierungen der Gerichtsscene im Wintermärchen, der Banketscene im Macbeth, des Zweikampfes bei Coventry in Richard II., einen öden leeren Raum, in welchen die Darsteller, vom ersten an bis zum letzten Komparsen, erst einziehen und sich aufstellen müssen! Kann jemand im Ernste behaupten, daß Hermione's Vertheidigung in einem leeren Bühnenraume eine größere Wirkung ausüben könnte, als in dem herrlichen antiken Amphitheater, in welches Dingelstedt und Hein zuerst diese wundervolle Scene verlegten!

Man halte allerdings stets den Unterschied eines Wechsels des Schauplatzes innerhalb der Akte und in den Aktpausen im Auge. Sind sie dort möglichst zu vermeiden, so erhöht sich umgekehrt der Reiz der Darstellung, wenn jeder Akt beim Wiederaufziehen des Vorhangs ein anderes schönes Bild zeigt. Die in Meiningen mitunter auf einem anderen Wege als in München erstrebte Einheit des Schauplatzes, also Wegfall alles Dekorationswechsels durch das ganze Stück hindurch, ist durchaus nicht zu empfehlen, ja sie schädigt unbedingt die Wirkung derjenigen Scenen, wofür der einheitliche Zwangsschauplatz durchaus nicht paßt. Einen Beweis dafür liefert die jetzige, Meiningen nachgeahmte Einrichtung von Was Ihr wollt

im Berliner Schauspielhaus, im Vergleich zu der früheren Einrichtung, wobei fast jeder Akt eine andere, der Handlung angepaßte schöne Dekoration bot.

Ich kann also einer schematischen Einrichtung der Bühne, welcher sich die ganze Handlung in all ihren Phasen beugen muß, grundsätzlich das Wort nicht reden, sondern verlange umgekehrt, daß der Schauplatz sich vor der Handlung beugen, sich ihr anpassen soll. Und wie Wagner in der Zusammenwirkung aller Künste sein Kunstideal sah, in der prachtvollsten Scenierung keine Abschwächung sondern eine Unterstützung der Wirkung des musikalischen Dramas gesucht und gefunden hat, so gründe ich auch meine Hoffnungen auf immer tieferes und weiteres Eindringen Shakespeare's in Geist und Herz des deutschen Volkes gerade auf eine fortschreitende, nicht zurückgehende Verbindung seiner Darstellungen mit der modernen Scenierungskunst. Jede wahre Kunst ist würdig, mit einer andern Kunst in Verbindung zu treten; sie können sich gegenseitig nur heben, nicht schwächen.

Ein Boden ist es allerdings, auf dem auch ich mich mit Genée zusammenfinden könnte. Ich habe es leider bis jetzt nicht ermöglichen können, einer Aufführung in München beizu wohnen, bin aber im Voraus überzeugt, daß eine solche mir persönlich das größte Interesse gewähren würde, ein größeres vielleicht noch, als die vollendetste Darstellung mit der prächtigsten Scenierung mir je gewährt haben kann. Mir würde es den höchsten Genuß gewähren, einmal unverkürzt und unverändert ein Werk des größten Dichters aller Zeiten aufführen zu sehen; ja ich würde mich nicht bloß durch die Pietät und das literarische Interesse über scenische Mängel hinwegsetzen, sondern vielleicht noch einen besonderen phantastischen Reiz in jener naiven Einfachheit finden können. Allein haben wir es bei den Bemühungen für Ausbreitung und Vertiefung des ShakespeareKultus in Deutschland nur mit einer aus Enthusiasten, Forschern, Spezialisten zusammengesetzten Zuhörerschaft zu thun? Würde eine solche unsere Schauspielhäuser füllen? Ich will wahrhaftig keine Shakespeare-Vorstellungen, wobei die Scenierung das Lockmittel spielen, aber eine Scenierung, welche die Wirkung des Dramas unterstützen soll. Wir müssen das Publikum, auf das wir wirken wollen, nehmen wie es ist; wir können nicht gegen mächtige Zeitströmungen an und sollen dies auch nicht, wenn sie richtige Bahnen wandeln. Jede Zeit will die geistigen Schöpfungen früherer Zeiten mit ihren eignen Augen sehen, mit ihren eignen Organen in sich aufnehmen.

Jahrbuch XXVII.

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Und auch der darstellende Künstler kann nur angeregt werden, sein Höchstes zu leisten, wenn sich der Schauplatz mit dem Inhalt seiner Rolle stets in Uebereinstimmung befindet; ich habe nie davon gehört, daß die Künstler sich gegen eine reiche Scenierung erklären und davon eine Abschwächung des Eindrucks fürchten, den ihr Spiel auf die Zuschauer macht. Haben doch auch Herr von Perfall und Dr. Genée dieser Strömung ihren vollen Tribut zahlen müssen, indem sie bei den Münchener Aufführungen nur zwischen der modernen und der altenglischen Bühne vermitteln. Aber ist diese Vermittlung nicht eine Verleugnung des eignen Prinzips? Steigert das Zurückgehn auf die Einfachheit der altenglischen Bühne wirklich den Eindruck der Shakespeare-Vorstellungen, so hat das Stehnbleiben auf halbem Wege keine Berechtigung. Hier gilt es Prinzip gegen Prinzip; Zugeständnisse an eine Scenierungskunst, die man prinzipiell als Quelle einer Verstümmelung der Werke unseres Dichters und als eine Abschwächung ihres Eindrucks auf den Zuschauer betrachtet, sind meiner Ansicht nach nicht wohl zn rechtfertigen.

Wie aber die Angriffe des Realisten Rümelin nicht zu einer Umkehr in der Würdigung Shakespeare's, wohl aber zur Minderung der Abgötterei beigetragen haben, welche man mit dem Dichter trieb, so werden sicherlich auch die von hoher Intelligenz und redlichem Streben getragenen Bemühungen Perfall's und Genée's nicht spurlos an der Entwicklung der deutschen Schauspielkunst und der Darstellung der unsterblichen Werke unseres Dichters vorübergehen. Wenn nämlich die den Münchener Aufführungen zu Grunde liegende Tendenz der möglichsten Beseitigung oder doch Vereinfachung des Scenenwechsels auf das Innere der einzelnen Akte beschränkt, nicht auf das ganze Drama ausgedehnt wird, so daß der Dekorationswechsel also im Wesentlichen nur mit den Aktpausen zusammenfällt, so können diese Anregungen noch sehr fruchtbar werden. Alle überhaupt, die das Gute, Wahre und Schöne, wenn auch auf verschiedenen Wegen, redlich erstreben, müssen sich schließlich zur Gemeinschaft kulturellen und wissenschaftlichen Fortschreitens zusammenfinden.

„Die Küste von Böhmen".

Von

Dr. Edmund von Lippmann.

Unter den Absonderlichkeiten und Anachronismen, an denen Shakespeare's Wintermärchen so reich ist, hat die räthselhafte «Küste von Böhmen» seit jeher die Aufmerksamkeit der Kritiker und Kommentatoren in besonders hohem Grade erregt. Die Einen haben in der Einführung Böhmens als Küstenland einen unwiderleglichen Beweis der Unbildung und Unwissenheit Shakespeare's gesehen, ohne zu beachten, daß dieser von einem bloßen Irrthum solcher Art wohl sicher gelegentlich der Darstellung des Stückes Kenntniß erhalten hätte und ihn leicht beseitigen konnte, wozu er nur z. B., wie man vorgeschlagen hat, Bithynien an Stelle Böhmens zu setzen brauchte. 1) Andere sind der Ansicht, der Dichter sei sich zweifellos jenes Fehlers vollkommen bewußt gewesen, habe ihn jedoch absichtlich unverbessert stehen lassen, weil es sich um ein Märchenstück handelte, das «im Lande der Fabel und in der Zeit der Poesie» spiele, und dem gegenüber ohnehin niemand die Forderung strenger Wahrheit erheben könne.) Die Dritten endlich, unter ihnen vor allem Simrock,3) haben auf die Quelle verwiesen, welcher Shakespeare's Wintermärchen entfloß: die Novelle Pandosto, the Triumph of Time, des Robert Greene, eine sehr populäre, seit 1588 in einer ganzen Reihe von Ausgaben erschienene Erzählung, welche, dem gezierten Geschmacke der Zeit folgend, ein Gemisch von Märchen und Schäfer

1) Simrock, Die Quellen des Shakespeare. Bonn 1872. II, 90. 2) Ebend. 90.

3) Ebend. II, 41 ff.

roman darstellt,1) und mit den Worten beginnt 2): «Ehe noch das Christenthum in der Welt erschienen war, regierte in Böhmen ein König, Pandosto genannt». Böhmen sei also bereits als Schauplatz der Begebenheit bekannt gewesen und als solcher gleich am Eingange der Novelle ausdrücklich bezeichnet worden; die Anfänge überlieferter Erzählungen stellten aber für den Bearbeiter feste Punkte dar, an welchen er ungerne rüttle, weil sie stärker als alles Andere im Gedächtnisse der Leser oder Zuhörer haften, deren Widerspruch er nicht herausfordern mag, und im Hinblicke hierauf wäre es wohl zu begreifen, daß Shakespeare, der alle in der Novelle vorkommenden Eigennamen geändert hat, den des Landes Böhmen wissentlich beibehielt. 3)

Das Räthsel von der Küste Böhmens ist hiermit allerdings nicht gelöst, sondern die Frage nur um eine Stufe zurückgeschoben, indem sie nun nicht mehr das Schauspiel, sondern die Novelle betrifft. Simrock meint,) daß diese, obwohl ihr einige sagengemäße Züge, z. B. die Aussetzung und Wiederauffindung des Kindes, eingeflochten sind, Greene's eigene Erfindung zu sein scheine und keine epische Grundlage habe. Eine solche ist zwar in der That bisher nicht bekannt, doch läßt sich auch keineswegs mit Bestimmtheit behaupten, daß sie nicht vorhanden sei. Ist doch das weit ausgedehnte Gebiet der Novellistik romanischen Ursprungs, welche vor und während der Zeit Shakespeare's in England allverbreitet und Quelle zahlreicher dramatischer und epischer Erzeugnisse war, noch bei Weitem nicht eingehend durchforscht, und auch die unter ihrem Einflusse herangebildete englische Erzählungsliteratur nicht bis zu ihren letzten Wurzeln zurückverfolgt, wie denn z. B. erst die zufällige Auffindung eines Exemplares des Greene'schen Märchens mit der Jahreszahl 1588 die eine Zeit lang gültige Annahme beseitigte, es sei jene Novelle erst Shakespeare's Schauspiele entflossen. Daß die wichtigste Abänderung, die letzteres aufweist, die Erhaltung Hermione's, welche Greene wirklich sterben läßt, lebhaft an die Rettung und Wiederfindung Lucina's in jener Geschichte vom «Apollonius aus Tyrus» erinnert, der Shakespeare den Stoff zu seinem Schau

1) Simrock, Die Quellen des Shakespeare. Bonn 1872. II, 91.

2) Siehe auch die Einleitung zum Wintermärchen in der Ausgabe der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, Berlin 1877. Bd. IX, 131 ff.

3) Simrock II, 90.

4) Ebend. 91.

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