Imagini ale paginilor
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Ich sende Ihnen hier diese Sammlung, in welcher Sie manchen neuen Auffah finden werden. Sie müssen sie alle lesen; denn wenn man einen Wieland nicht lesen wollte, weil man dieses und jenes an ihm auszuseßen findet, welchen von unsern Schriftstellern würde man denn lesen wollen?

Achter Brief.

Auch mir sind unter den Wielandischen Schriften die ,,Empfindungen des Christen" das anstößigste gewesen.

Empfindungen des Christen heißen Empfindungen, die ein jeder Christ haben kann und haben soll. Und von dieser Art sind die Wielandischen nicht. Es können aufs höchste Empfindungen eines Christen seyn; eines Christen nämlich, der zu gleicher Zeit ein wißiger Kopf ist, und zwar ein wißiger Kopf, der feine Religion ungemein zu ehren glaubt, wenn er ihre Geheimnisse zu Gegenständen des schönen Denkens macht. Gelingt es ihm nun hiermit, so wird er sich in seine verschönerten Geheimnisse verlieben, ein füßer Enthusiasmus wird sich seiner bemeistern, und der erhißte Kopf wird in allem Ernste anfangen zu glauben, daß dieser Enthusiasmus das wahre Gefühl der Religion sey.

Ist er es aber? Und ist es wahrscheinlich, daß ein Mensch, der den Erlöser am Kreuze denkt, wirklich das dabei denkt,

1 Zürich, bei Orell und Compag. 1758. in drei Theilen. Enthält I. 1) Sympathien. 2) Theages, oder Unterredung von Schönheit und Liebe. 3) Gesicht von einer Welt unschuldiger Menschen. II. 1) Empfindungen des Christen. 2) Hymne auf die Allgegenwart Gottes. 3) Betrachtung über die Gerechtigkeit Gottes. III. 1) Betrachtungen über den Menschen. 2) Gesicht des Mirza. 3) Zwei Selbstgespräche eines tugendhaften Heiden. 4) Plan einer Academie zu Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute. 5) Gez spräch des Sokrates von der scheinbaren und wahren Schönheit.

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was er dabei denken sollte, wenn er seine Andacht auf die Flügel der Horazischen Ode seßt und anhebt: „Wo ist mein entzückter Geist? Welch ein furchtbares Gesicht um mich her! Schwarze Finsterniß, gleich der ewigen Nacht, liegt auf dem bebenden Erdkreis. Die Sonne ist erloschen, die verlassene Natur seufzt; ihr Seufzen bebt gleich dem schwachen Wimmern des Sterbenden durch die allgemeine Todesstille. Was seh ich? Erbleichte Seraphim schweben aus dem nächtlichen Dunkel hier und da hervor! Sie schauen mit gefaltenen Händen wie erstarrt herab! Viele verbergen ihr thränendes Antlik in schwarze Wolken. O des bangen Gesichts! Ich sehe, ich sehe den Altar der Versöhnung, und das Opfer, das für die Sünde der Welt verblutet."

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Schön! Aber sind das Empfindungen? Sind Ausschweifungen der Einbildungskraft Empfindungen? Wo diese so geschäftig ist, da ist ganz gewiß das Herz leer, kalt.

So wie es tiefsinnige Geister gab und noch giebt, welche uns die ganze Religion platterdings wegphilosophiren, weil sie ihr philosophisches System darein verweben wollen: fo giebt es nun auch schöne Geister, die uns eben diese Religion wegwißeln, damit ihre geistlichen Schriften auch zugleich amüsiren können.

Der Ton der Psalmen, welchen die Empfindungen des Herrn Wielands oft annehmen, hat mich an „Petersens Stimmen aus Zion“ wieder erinnert.

Eine Vergleichung zwischen Petersen und Wieland würde diesem auf keine Weise schimpflich seyn. Petersen war ein sehr gelehrter und sinnreicher Mann, und kein gemeines poetisches Genie. Seine Uranias ist voll trefflicher Stellen, und was kann man mehr zu ihrem Lobe sagen, als daß 1 Empfindungen XIV. S. 99.

Leibniz sie zu verbessern würdigte, nachdem er selbst den Plan dazu gemacht hatte?

Seine erstgedachten Stimmen sind hundert prosaische Lieder, die er selbst Psalmen nennt. Erlauben Sie mir, Ihnen einige kleine Stücke daraus vorzulegen:

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Drei und vierzigster Psalm.

, Wie ist die Welt doch so überweise worden! Wie hat sich die Magd über die Frau erhoben!

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Die Weisheit des Fleisches waffnet sich gegen die göttliche Einfalt; und die Vernunft ficht wider den Glauben.

„Die Weltweisheit seht sich gegen die göttliche Thorheit; sie meistert Gottes Weisheit und verfälscht sein großes Wort.

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Sie ist gar zu weise zum Himmelreich; darum kommen sie auch nicht dahin, wohin die Kinder kommen 2c."

Zwei und achtzigster Psalm.

„Brüder! Lasset uns bingehen und unser Leben lassen! Die Wahrheit ist wohl werth, daß wir sie bis in den Tod bekennen! Es ist der treue und wahrhafte Zeuge vor uns hergegangen. Er hat ein gut Bekenntniß bekannt vor Pontio Pilato. Er mußte auch sterben, als ein Verführer. →

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Gott sey Dank, daß wir nicht leben wie die Uebelthäter! Wir haben zwar unserm Gott gesündigt aber nicht der Welt.

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Es ist recht und billig, daß uns unser Vater züchtigt; es ist recht, daß er diesen Leib zerbricht.

„Wir müssen doch einmal unsere Hütten ablegen; warum nicht jezt, da wir noch mit unserm Tode preisen unsern Gott?

„So wissen wir auch, daß der Tod seiner Heiligen bei ihm bochgeachtet sey, und daß er ihm seine Lieblinge nicht nehmen lasse.-

„Brüder! lasset uns nicht fürchten, wie die Heiden und Sünder

pflegen. Furcht ist nicht in der Liebe und in dem Glauben zu unferm Gott.

„Wir haben bisher dem Herrn gelebt, so wollen wir nun auch dem Herrn sterben.

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Er wird mit uns durch Feuer und Waffer gehen; er wird uns nicht ungetröstet noch ungestärkt lassen.

„Siehe! Wir sehen ihn, o wie freundlich ist er uns! Er führt uns über den Tod! Halleluja!"

Was sagen Sie hierzu? Könnte ich nicht die Verehrer des Herrn Wielands (seine Anbeter; er hat dergleichen) auffordern, mir erhabenere und pathetischere Stellen in seinen ganzen Empfindungen zu zeigen? Herr Wieland ist reich an Blümchen, an poetischem Geschwäß; Petersen an starken Gedanken, an großen Gesinnungen; ohne Zwang, ohne Schwulst. Beide haben die Sprache der heil. Schrift zu brauchen gewußt, nur daß sie Petersen in ihrer edeln Einfalt gelassen, Wieland aber durch affectirte Tiefsinnigkeiten, durch profane Allusionen verunstaltet hat.

Und gleichwohl sind Petersens Stimmen gar bald verachtet und vergessen worden. Denn Petersen war ein Schwärmer!

Neunter Brief.

Ich habe über des Herrn Wielands „Plan einer Akade= mie zur Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute," einige Anmerkungen gemacht, die ich niederschreiben und Ihnen nach und nach zur Beurtheilung vorlegen will.

Herr Wieland will die alten Griechen bei seinem Entwurfe um Rath gefragt haben. Diese, sagt er, feßten die Erziehung hauptsächlich in die Uebung der Gemüths- und Leibeskräfte, weil ohne Uebung weder diese noch jene zur

gehörigen Stärke, Lebhaftigkeit und regelmäßigen Bewegung gelangen. Die Absicht, fährt er fort, zu welcher ihre Er= ziehung abzweckte, war ihre junge Bürger zu dem zu bilden, was sie zalozaya9.a nannten, in welchem Worte sie alle Vorzüge und Vollkommenheiten begriffen, die einen freien und edeln Menschen von einem Sclaven und menschenähnlichen Thiere unterscheiden, alle Eigenschaften und Geschicklichkeiten, welche den Menschen erhöhen, verschönern und zur Ausführung einer edeln Rolle im Leben tüchtig machen. Zu dieser Absicht, welche allein der menschlichen Natur würdig ist, flößte man der Jugend so früh als möglich den Geschmack am Schönen und Guten, nebst den besten moralischen und politischen Gesinnungen ein; in diesem Gesichtspuncte studirte man mit ihnen den Homer, und schmückte ihr Gedächtniß mit den weisesten Sprüchen der Dichter, welche die Lehrer und Philosophen der ältesten Griechen waren ic.

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Ich will fürs erste bei einer Kleinigkeit stehen bleiben. Was Herr Wieland hier von dem Homer sagt, das hat seine Absichten und der Leser soll die Anwendung davon selbst machen. Er soll bei sich denken: Da es uns, Gott sey Dank! auch nicht an Homeren fehlt, warum werden denn nicht auch unsere Homere in dieser Absicht mit der Jugend gelesen?

Aber ehe ich mir selbst diese Frage vorlegte, wollte ich wohl dem Herrn Wieland mit einer andern beschwerlich fallen. Ich wollte ihn fragen: Hat Ihr Vorgeben, mein Herr, seine historische Richtigkeit? Ist es wahr, daß die alten Griechen ihre Jugend aus dem Homer und andern Dichtern Weisheit lehrten? Und wurde Homer, ich will nicht sagen durchgängig, sondern nur von allen denen unter ihnen verstanden, welchen δας Beimort καλοκαγαθοι 3ufam?

Im dritten Theile. S. 101.

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