Imagini ale paginilor
PDF
ePub

Praxis, nahezu erschöpfend ausgebildet und dennoch fehlen ihr zur Zeit fast noch alle diejenigen Hauptergebnisse, zu denen sie gelangen wird, wenn sie an der Hand der Geschichte mit geläuterten Kunstansichten noch einmal prüfend ihr ganzes Gebiet durchwandert.

Die jetzt gangbare Aesthetik oder Lehre vom Schönen steht zu der Tonkunst in keinem erfreulichen Verhältnisse. Der ganze, jüngsthin bis in's einzelnste ausgezimmerte Bau dieser Aesthetik ist ohne nennenswerthe Mitwirkung unserer Kunst zu Stande gekommen, so dass es erklärlich ist, wenn die Musik sich in jenem philosophischen Wohnhause der Kunstideen etwas fremd und unbehaglich fühlt. Es fragt sich nur, ob sie wirklich niedrig genug ist, den ihr angewiesenen Platz ohne weiteres einnehmen zu müssen, oder ob sie das Recht geltend machen darf, auch hier, ihren eignen Bedürfnissen und Wahrheiten getreu, für sich selber zu wählen und zu bauen. Von gewissen »> musikalischen Aesthetikern << wird diese Frage nicht einmal aufgeworfen, ohne Zweifel in der Meinung, die Musik bei ihrem geringen geistigen Gehalte dürfe froh sein, in einem philosophischen Palaste der Aesthetik überhaupt nur ein Unterkommen zu finden. Dem entgegen ist unsere einfache und feste Ueberzeugung, dass wir alles, was von dort kommt, abweisen müssen, bis die Berechtigung der philosophischen Baumeister zu ihrem Werke untersucht und zugestanden ist. Unsere Verpflichtung, meinen wir, sei hier um so unabweislicher, weil, wie die Sachen jetzt stehen nach der philosophischen Ausbeutung oder Ausklärung der bildenden Kunst und der Dichtung, nur noch der Wissenschaft der Tonkunst das volle Recht zu einer solchen Prüfung geblieben ist und daher auch nur von ihr eine Läuterung der Aesthetik ausgehen kann.

Hiermit zielen wir nicht entfernt auf eine Abtrennung der Wissenschaft der Tonkunst von der der übrigen Künste, sondern sind im Gegentheil von der Gewissheit eines gemeinsamen Mittelpunktes wie von der Nothwendigkeit einer einheitlichen Behandlung aller Kunstwissenschaften so sehr überzeugt, dass wir jede

gesonderte »Aesthetik der Tonkunst« (wie natürlich auch die der Malerei, der Dichtung u. s. w.) zu Gunsten einer allgemeinen Wissenschaft des Ideals unbedenklich preis geben; denn obwohl gewissermalsen schon das einzelne wahre Kunstwerk die ganze Aesthetik einschliefst, ist doch keine einzelne Kunst fähig, auch nur einen selbständigen Theil derselben auszubilden.

Suchen wir nun überall die Pfade wahrer Wissenschaft einzuhalten, so dürfen wir hoffen, im Grofsen und Ganzen nicht fehl zu gehen und selbst im Kleinen Nützliches zu leisten. Eines weiteren Berufes und eines anderen Freibriefes, als des in dieser Ueberzeugung gelegenen, bedarf es nicht für den, der hier zu seinem Theile mitwirken möchte, noch findet hier etwa ein Unterschied statt zwischen sogenannten Dilettanten und Fachmännern, denn diese Scheidung, die von der Praxis, der geschäftlichen Ausübung der Kunst entnommen ist und dort ihre Berechtigung hat, drückt in Sachen der Wissenschaft nicht das Richtige aus: hier gilt nur éin Gegensatz, der des Wissenschaftlichen und des Unwissenschaftlichen, und beide, Dilettant und Fachmann, werden unter Umständen auf der einen oder der andern Seite stehen, nur mit diesem Unterschiede, dass der Dilettant schwerer zu einer genauen Erkenntniss und sichern Beherrschung des Einzelnen, der geschäftliche Musiker schwerer zu klaren allgemeinen Anschauungen und freien Uebersichten gelangt. Hier zur Belehrung und Ausgleichung die Brücke zu schlagen, ist der schönste Beruf einer wahren Kunstwissenschaft.

Die hier vorliegenden Aufgaben und Arbeiten, namentlich die zeitgemässesten und dringlichsten, sowie das Verhältniss der Jahrbücher zu denselben im einzelnen zu besprechen, wird erst in den nächsten Bänden möglich sein. Nur Einiges sei vorläufig berührt.

Dem Volksgesange im allgemeinen und dem vaterländischen im besondern eine vorzügliche Aufmerksamkeit zu widmen, muss um so mehr die Pflicht der Jahrbücher sein, weil bei einer zum Theil ausgezeichneten Verwerthung der poetischen Seite

dieses Gegenstandes das Musikalische desselben noch sehr im Argen liegt. Wir besitzen zwar viele Sammlungen von Sangweisen aus fast allen Ländertheilen Europa's, unter diesen einige sehr umfängliche, aber keine einzige welche von allgemeinen Gesichtspunkten aus und in musikvergleichendem (wie so manche Sammlung der Texte in sprach- und dichtungvergleichendem) Sinne durchgeführt wäre, fast keine einzige solcher gleichmässig der Wissenschaft und dem Kunstgenusse dienenden Sammlungen wie uns deren von den blofsen Texten doch bereits so viele vorliegen. Zur Stunde fehlt es hierin noch an aller und jeder Einheit und Gemeinsamkeit. Auf eine Vergleichung der Melodien verschiedener Völkerschaften zwecks Nachweisung der Ursprünge hat man sich fast niemals, oder höchstens so nebenher. eingelassen, noch weniger auf die Bestimmung des Zeitalters der Melodien nach inneren musikalischen Kennzeichen. Und doch sind dies Grundfragen, ohne deren Erledigung der Volksgesang bei allen Reizen, mit welchen er das gesellige Leben der Völker schmückt, für die Wissenschaft nutzlos bleiben muss. — Alles was näher oder ferner einen solchen Zweck fördert, wird für die Jahrbücher willkommen sein. Seltenes, Fremdartiges, an und für sich Wichtiges bedarf weiter keiner Empfehlung; aber wo unser historisch-kritisches Gefäls zur Aufnahme der ganzen Fülle eines vorliegenden Stoffes bei weitem zu klein wäre wie bei dem Nationalgesange ganzer Länder z. B. Schottlands, Schwedens, Spaniens u. a., als Gesammtheit betrachtet, wird eine übersichtliche, nur die Wesenheit und den Gang der Entwicklung hervor hebende Darstellung genügen müssen. Für den deutschen, namentlich den weltlichen Volksgesang dürfte vor der Hand wohl die wichtigste Aufgabe sein, einzelne Quellen und Nachrichten aus seiner frühesten Zeit (etwa bis zum Anfange des 16. Jahrhunderts) aufzusuchen und dadurch die Chronologie, Verbreitung, Umbildung und Schicksale, überhaupt die Geschichte der einzelnen Lieder kennen zu lernen. In Chroniken, Jahrbüchern der historischen Vereine und sonstigen germanistischen Schriften ist hierüber schon vieles mitgetheilt, welches

nur der Zusammenstellung bedarf; Musik ist leider fast niemals beigegeben, muss auch, wo sie sich findet, mit Vorsicht aufgenommen werden.

Bei der Mittheilung von Musikstücken dürfen wir gewisse Gränzen nicht überschreiten. Seltene ungedruckte Compositionen namhafter Meister ohne weitere Beziehung auf eine Abhandlung lediglich ihres musikalisch-historischen Werthes wegen mittheilen, wie es bisher bei den einschlagenden Zeitschriften bräuchlich war, wird hier nicht geschehen können; unsere Bände würden die Menge der werthvollen, zur Zeit noch unbekannten Werke grofser Meister nicht fassen, und sind nicht der Ort dafür. Wird Einzelnes aus dieser Menge heraus gehoben und abgedruckt, so geschehe es immer nur als nothwendige Beigabe, gleichsam als Unterlage einer Abhandlung, dann aber (z. B. bei der Zergliederung einer Fuge, eines Chores u. dgl.) mehr mit Rücksicht auf das Zweckdienliche als auf das Seltene. Alles was von Volksliedern, weltlichen oder geistlichen zur Sprache kommt, kann mit Text und Musik abgedruckt werden; einzelne wichtige Sammlungen dieser Art aus frühester Zeit, gedruckte oder handschriftliche, können ihres durchweg geringen Umfanges wegen ganz zum Abdruck gelangen. Dasselbe gilt von aller noch erhaltenen praktischen Musik bis etwa zum Jahre 1450, natürlich mit Ausschluss des lateinischen Choralgesanges. Den Kennern dieses Faches wird eine solche Einschränkung gewiss einleuchten, denn schon die ältesten vorhandenen Handschriften des lateinischen Kirchengesanges sind nicht nur von so grofsem Umfange und fast unübersehbarer Mannigfaltigkeit der Melodien, dass die Sammlung derselben ganze Folianten füllen würde, sondern ihr Abdruck erheischt auch einen Kostenaufwand zu welchem der Nutzen der genannten Gesangbücher zur Zeit noch in keinem Verhältnisse steht. Jetzt, in den Anfängen der Entzifferung der Neumenhandschriften, wird der wichtige Gegenstand von den Jahrbüchern am besten gefördert werden können durch Nachweisung verschiedener Handschriften, durch Untersuchungen über die Verbreitung und

veränderte Schreibweise der Neumen in den verschiedenen Ländern und Jahrhunderten, und namentlich durch Mittheilung und chronologische Aneinanderreihung aller auffindbaren Melodien zu einzelnen kirchlichen Gesangtexten. Auf solchem Wege liefse sich das dunkle Gebiet wie durch einzelne Lichtstrahlen erhellen und eine umfassende Sammlung des ganzen weitverzweigten Stammbaumes Gregorianischer Melodien vorbereiten, wie wir ähnliche Sammlungen aus späteren Zeiten über deutsche und englische Kirchengesänge bereits besitzen. In den Biographien älterer Tonmeister werden wir hinsichtlich der beizugebenden Musik verschieden verfahren müssen. Bei einem so bedeutenden und unter uns so gänzlich unbekannten Liedercomponisten und Volkssänger wie Henry Carey würde man es mir schwerlich Dank wissen, wenn ich unterlassen hätte, der Erzählung seines Lebens den Kern seiner Lieder einzuweben; hier ist die Musik beredter und fast kürzer als das beschreibende Wort. Beschäftigen wir uns dagegen mit dem Leben solcher Musiker, deren Bedeutung in umfassenderen Compositionen liegt, wie bei Al. Scarlatti, Purcell, Lully, Marenzio, Schütz, Monteverde und vielen anderen der Fall ist, so werden sich ausser einzelnen, selten vollständige Sätze enthaltenden Stellen nur ganz ausnahmsweise und nur dann einige gröfsere Stücke beilegen lassen, wenn keine Aussicht vorhanden ist, bald eine vollständigere Sammlung des betreffenden Meisters zum Druck bringen zu können. Sonst soll das stete Augenmerk und ein Hauptzweck der veröffentlichten Lebensbeschreibungen halb oder ganz vergessener Tonkünstler sein, Verlangen nach ihren Werken zu erregen und dadurch Ausgaben derselben zu ermöglichen; auf solche Weise würden Wort und Ton vereinigt Kunstbildung und geschichtliche Erkenntniss fördern.

Am 20. December 1862.

Chr.

« ÎnapoiContinuă »