Imagini ale paginilor
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den, das auch keine überflüssigen Theile hat, von dieser Kunst hatte Hans Sachs keine Idee. Wenn er größere Abschnitte aus der Bibel dramatisirt, so verknüpft er alle gleichzeitige Nebenvorfälle treulich mit seiner Haupthandlung, und schließt, wenn diese, wenn die Geschichte seiner Hauptperson, zu Ende ist, ohne für einen befriedigenden Schluß des Ganzen zu sorgen. (In seinem Daniel" z. B. wird die Anbetung von Nebukadnezars Bild, dessen Wahnsinn, und die Scene mit Belsazar an der Tafel u. f. w. mit vorgestellt). Ueberhaupt folgt er sklavisch den Begebenheiten und ihrer Folge, wie er beides in seiner Duelle findet; er thut so wenig hinzu, als er wegschneidet. Auch die Personen läßt er unverändert; außer daß er zuweilen ein Paar geringe Nebenpersonen hinzu thut. Uebrigens bringt er alle Vorfälle der Geschichte vor die Augen seiner Zuschauer, so unvollkommen sie auch auf der damaligen Bühne vorgestellt sein mögen (z. B. die Schöpfung Adams, Kindheit Mosis, die Wundergeschichten von Josua, Simson, Jonas,— Circe), nicht minder Unschicklichkeiten und Widrigkeiten (wovon die Maccabäer zwei Beispiele liefern). In der Anlage sind die Stücke am erträglichsten, welche aus einer kleinen Erzählung (z. B. Griselde nach Boccaz) entstanden sind, die schon für sich ein Ganzes ausmachte. Aber die ungeheuersten Compositionen sind die, in deren enge Gränzen, von etwa 12 Duartblättern, ganze Romane zusammengepreßt sind, wenn auch einzelne Vorfälle immer übersprungen werden. Hier wird man schnell ganze Reihen von Jahren durchgejagt; denn diese Stücke enthalten immer die ganze Lebensgeschichte des Helden von Geburt bis Tod. Aber nicht bloß zwischen Akten, sogar zwischen Auftritten, vergehen Tage, ja Jahre (z. B. Isaak, Jakob und Esau), und lange Reisen in wenigen Minuten."

XVIII.

Versuch des Beweises, daß die Deutsche Sprache keine Quantitåt hat.

[Vorbemerkung. Es ist schon oft in neueren Zeiten ausgesprochen

worden, daß unsere den Maßen der Alten nachgebildeten Verse nicht dasselbe mit ihren Musterbildern seien. Außer vielen Anderen hat dies noch neuerlich Wilhelm Wackernagel behauptet in der Vorrede zu seinem Buche: „Geschichte des Deutschen Herameters und Pentame ters bis auf Klopstock, Berlin, Fincke 1831." Hier sagt er Vorrede S. IX., daß 1) die verschiedene Art zu messen, und 2) in Bezug auf Herameter und Pentameter im besonderen auch der syntaktische Parallelismus der beiden Hälften, in welche die Cäsur den Hexameter und Hentameter, besonders bei den Römern, theilt, der Ähnlichkeit zwischen den alten Maßen und ihren Nachahmungen im Deutschen entgegen tråten. Dem Zwecke seines Buches entsprechend stellt er das Erstere hin, ohne sich auf den Beweis einlaffen zu dürfen; das Leztere beweist er dagegen ausführlich,

Wer den Beweis führen will, daß die Art der Deutschen Versmessung eine andere sei als die der Alten, scheint 1) nachweisen zu müssen, daß die Deutsche Sprache keine Luantität habe, 2) die Lehre vom Deutschen Worttone ent= wickeln zu müssen, da dieser der Inhalt des deutschen Rhythmus ist, um dann 3) zu zeigen, wie der Deutsche Wortton in den Deutschen Rhythmen sich verhalte. Das Erste nachzuweisen, soll in dieser Abhandlung versucht werden.

Wer sich mit so vielen großen Männern, von denen hier nur Voß und Wolf genannt sein mögen, öffentlich in Widerspruch sezt, kann dies nur thun, entweder weil er in Anmaßung und Eitelkeit bes fangen ist, oder weil er über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dessen belehrt zu werden wünscht, was er nach sorgfältigem Streben in aller Bescheidenheit glaubt als Wahrheit erkannt zu haben. Der Verfasser hofft nach genauer Selbstprüfung im legten Falle zu sein, und wird mit Dank auf jede Belehrung achten, die ihm von Wohlwollenden zukommen möchte.]

Wie in jeder Sprache, so auch im Deutschen, würde zum Aussprechen verschiedener Sylben eine verschiedene Zeit gebraucht werden, sobald man in jeder Sylbe einerlei gleiche Zeit zum Aussprechen jedes langen Vocales oder Diphthongen, einerlei andere gleiche Zeit zum Aussprechen jedes kurzen Vocales und auf ähnliche Weise bei der Aussprache der Consonanten - gebrauchte. So würden Strafft, Brauchst länger sein als Läufft, Rufft, Schufft; diese länger als Rafft, Lauft, Ruft; diese wieder länger als Lauf, Schuf, Schafft; diese aber länger als Schaff, Raff; u. s. f.

Aber die Kunst verlangt Begränzung und Beschränkung, und es wäre schon deshalb zu erwarten, daß sie jene verschiedenen Sylben= längen nicht auf eben so viel verschiedene Weisen benußte, wenn es auch nicht die Erfahrung lehrte, nach welcher z. B. das klassische Alterthum nur zwischen der eine Zeiteinheit dauernden kurzen Sylbe und der zwei Zeiteinheiten dauernden langen unterschied.

Wird nun gefragt, wie die Deutsche Verskunft die an sich mögliche Verschiedenheit in der Dauer der Sylben benuße, so scheint es mir, daß für den Vers alle Sylben gleiche Länge has ben, also Verschiedenheit der Zeitdauer in dem Deutschen Gedichte kein Stoff für die Kunst sei. Indem ich durch das Folgende versuchen will, dies zu beweisen, bin ich freilich genöthigt, Wahrnehmungen des eigenen Gehörs zu Hülfe zu nehmen, die ein Anderer vielleicht anders gehabt zu haben überzeugt ist; indeß beruht mein Beweis nicht auf ihnen allein, son: dern ich glaube auch Thatsachen benußen zu können, die auf so allge:

meinen Beobachtungen beruhen, daß sie in wissenschaftliche Lehrgebäude gefaßt sind.

Um die Anwendung dieser für unsern Zweck deutlich zu machen, müssen einige vorläufige Betrachtungen zu Hülfe genommen werden, welche hier zunächst folgen mögen.

Der Eindruck, welcher durch den Unterschied in der Länge der Sylben oder in deren Accente hervorgebracht wird, heißt Rhyth mus, jener der quantitirende, dieser der accentirende. Wird er für das Gebiet der Kunst benußt, so entsteht der schöne Rhythmus, der auch vorzugsweise im engeren Sinne Rhythmus genannt wird; obschon auch die Prosa ihren Rhythmus hat. Der schöne Rhythmus kann sich nun aufdrücken 1) dem Worte 2) dem Tone. Die eins fachste quantitirende øder accentirende rhythmische Sylbenverbindung heißt Fuß, eine Verbindung mehrerer Füße zu einem größerem Ganzen giebt die rhythmische Reihe (Metrum), dann den Bers u, f. f.

Wie es einen Rhythmus der Sylben giebt, so giebt es auch einen Rhythmus der Löne. Wenn der Gesang der unkünstlerischen d. H. prosaischen Rede möglichst entsprechen soll, so ist sein Rhythmus, wie der der profaischen Rede an kein bestimmtes Gefeß gebunden, d. h. der Gesang ist ohne bestimmten Takt, ist Recitativ. Im entgegengefesten Falle bindet sich der Rhythmus an bestimmte Gesetze, und heißt nun Takt.

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Der Rhythmus (der Takt) des Gesanges kann sich ganz von dem Rhythmus (den Versfüßen) des gesungenen Liedes trennen, so daß bald mehrere Füße in einen Lakt gezogen, bald ein Füß, fogar eine Sylbe, in mehrere Takte ausgedehnt werden kann, ja daß felbft Worte, die gar nicht Verse, sondern Prosa sind, im: Lakte gesungen werden (Händels Chöre, Naumann's Psalmen u. a. m.). Der Componist ist hier mir in so fern beschränkt, als er dem Wortrhyth mus nicht entgegen: handeln, also im Allgemeinen nicht eine betonte Shlbe unbetonter als eine unbetonte desselben Wortes machen darf. Ein Beispiel des Fehlens gegen diese Regel findet sich in der Deutz schen Übersetzung des Textes zu dem Händelschen Chore: „Dringt ein in die Feinde, mit rüßtiger rüstíger Hand,“ eine Stelle, bei welcher ein Chor, der sie noch überall nicht kennt, gewiß leicht auflößt, welche sich auch wohl nicht finden würde, wenn Händel die Deute schen Worte componirt hätte.

Je näher jedoch ein Kunstwerk dem Anfange aller Kunst, dem noch unentwickelten Kunstgefühle, liegt (wie dieses unentwickelte Kunstgefühl sich im Volk erhält, während es bei den Einzelnen sich höher bildet), desto weniger scheiden, sich die einzelnen Stoffe des Kunstwerkes zu selbständiger Entwickelung. Je näher daher ein Ge sang dem Anfange der Kunst liegt, desto weniger sind Versrhythmus und Gefangrhythmus (Fuß und Takt) geschieden, und es muß daher bei jedem Volke Lieder geben, øder doch gegeben haben, in denen der Takt mit dem Versfuße noch übereinstimmt.

Nach diesen vorläufigen Betrachtungen, welche zur Begründung der Beweise vorausgehen mußten, lassen wir jezt die Beweise selbst folgen.

I. Kein Kunstwerk muß genauer als das Kirchenlied in Form und Inhalt mit dem Geiste des Volkes entweder übereinstimmen, oder doch, wenn es ursprünglich mit demselben nicht übereingestimmt hätte, durch sein Zuhausesein im Volke dasselbe mit sich schneller übereinstimmend machen, also das Kunstgefühl desselben, sollte es ursprünglich anders gewesen sein, schneller und sicherer nach seinem Wesen umgestalten. Damit es aber ganz im Volke zu Hause sei und lebe, d. h. ganz in dessen Wesen aufgehe, muß es in einer Art, die dem Geiste des Volkes durch und durch entspricht, und in Inhalt und Form deuts lich und auf die einfachste Weise die Wahrheit ausdrücken, welche ents weder schon im Volke ist, oder welche es in das Volk bringen soll. Hievon die Anwendung auf den Inhalt des Kirchenliedes zu machen, gehört nicht für diesen. Ort, wir haben es nur mit seiner Form zu thun. Diese also muß noch dem ursprünglichen Kunstgefühle des Bols kes am nächsten liegen, so daß in ihr noch Takt und Versfuß über: einstimmen. Das Kirchenlied aber zeigt alle Shlben gleich lang ge fungen, mit der einzigen Ausnahme, von der sogleich die Rede sein wird, so daß hier die jambischen und trochäischen Verse in gleichgetheiltem, zweitheiligem Rhythmus (Arsis zu Thesis = 1 : 1), die daktylis schen und amphibrachischen aber im dreitheiligen Rhythmus (1:2) sich bewegen, also alle Shlben für Takt und Verfuß gleiche Länge haben *).

*) Der Privatgelehrte Herr P ö 1chau zu Berlin befißt in seiner ausgezeichneten Sammlung von klassischen Musikwerken auch die beiden ältesten evangelischen Choralbücher. Das erste ist betitelt:

,,Etlich Criftlich lider Lobgesang, uñ Psalm, dem rainen wort Gottes gemeß auß der heilige schrifft, durch mancherley hochgelerter gemacht, in der Kirchen zu fins

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