Imagini ale paginilor
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Einheit des Wortes in der Musik lebhafter, so würde doch manches künstlichere sich hier leisten lassen.

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Im Gegentheil aber hat die geistliche Musik oft sogar, wie in den bereits erwähnten Passionen, theilweise sich der völlig ungebundenen Rede bedient, und hier natürlich schafft die Musik fast die ganze äue ßere Form und wir haben die Umkehrung einiger im ersten Theile er wähnten Dichtungsformen, wie z. B. des Liedes, wo die Composition mit allgemeiner Auffassung des Gesammteindrucks in einer Melodie dem Metrum folgt, also der Dichter ausführt, indem der Componist allgemein andeutet: bei einer Arie aber auf ganz einfache Worte wie 3. B. im Messias: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt und daß er mich einst am jüngsten Tage erwecken wird“ findet gerade das umgekehrte statt der Dichter giebt hier die Idee des Stücks in wenigen Worten, während nun die Musik durch mannigfache Wiederholung und Bearbeitung eine Grundmelodie eben so durchführt wie ein Dich ter seine Idee durch mehrere Verse. Eine dergleichen Arie könnte man sehr wohl ein musikalisches Lied nennen, im Gegensatz gegen ein gedichtetes Lied. Wenn hiemit das Wort an äußerer Bedeutsamkeit verliert, so wächst in dem Maaße sein Inhalt; sollen also solche Worte unerachtet ihrer Kürze und Skizzennatur dennoch, wie wir doch wünschen, vollkommen verständlich sein auch ohne Musik, so wer den es solche Worte sein müssen, die ihren Inhalt auf das schärffte ausprägend jedermann verständlich sind, und da kömmen wir natürlich wieder auf das Buch aller Bücher, dessen einzelne Verse, wie sie mächs tigen Inhaltes find, so auch von aller chriftlichen Welt verstanden werden. Hier können wir Deutsche auch, eben in Bezug auf Musik, uns nicht genug glücklich preisen, in unserer Muttersprache einen so unerschöpflichen Schatz zu besitzen; denn in der Latherschen Uebersezug (wir sprechen jezt bloß vom Aeußeren) klingt es in jedem Worte durch, daß wir sie einem Manne verdanken, welcher sagt:,,Ich gebe nach der Theologie der Musica den höchsten Locumt und die höchste Ehre." Denn wenn das prosaische Wort ungebunden heißt, so muß doch in ihm Maaß wohnen, und wie Luther dieses erreicht hat, ist uns allen wohl bewußt, und wem es nicht wäre, der braucht nur die Psalmen oder die Propheteu aufzuschlagen, um sich zu überzeugen, wie in jedem Verse Sang und Klang herrscht. Es kömmt noch hinzu, daß beson: ders der Hebräische Urtext durch die Eigenschaft, alles durch zwei sich gegenüberstehende Bilder zu sagen, oder durch den sogenannten paral

lelismus membrorum gleichfalls ein völlig musikalisches Element ent hält, was für größere Musikstücke, besonders Chöre, immer eine schöne symmetrische Eintheilung erlaubt.

Die musikalischen Formen, die sich bei der Composition solcher Schriftstellen abgesondert haben, sind besonders der einfache Chor und die Motette. Jener, welcher meist einen einzelnen Vers zu seinem Gegenstande nimmt, ist in der Regel cin Glied aus einem größeren Stücke, die Motette aber ist selbständig, und hat in der Regel zur Grundlage eine bekannte Melodie, bei uns. Protestanten eine Cho rafmelodie, und demnach ist also die Motette bei uns eine Vereinigung des Gemeindegesanges und der freien musikalischen Darstellung eines Bibelverses, hat also gleichsam in jener Melodie einen lhrischen BeBlandtheil. Wir, verdanken dieser Vereinigung einen unschägbaren Reichthum von frommen, sinn- und kunßreichen Darstellungen und die geeignet sind, auf die ganze Gemeinde zu, wirken. Wir nehmen als einzelnes Beispiel die Motette von S. Bach: „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, ich helfe dir, ich stärke dich auch, ich errette dich durchy die rechte Hand meiner Gerechtigkeit, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein, denn ich habe dich erlöset." Wenn nun die Gemeinde beim Anhören gewiß nicht der unergründlichen Kunst des großen Meisters zu folgen im Stande wäre, so tritt nun als eine jedem Ohr und jedem Gemüthe verständliche Erklärung mitten in den Ver= schlingungen einer kunsvollen Zuge der Vers ein:

هر

Herr mein Hirt, Brunu aller Freuden,

Du bist mein, ich bin dein 4:

Niemand kann uns scheiden.

Du bist mein, weil ich dich fasse

dich nicht, o mein Licht

Aus dem Herzen laffe.

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So knüpft nun auch der nicht Kunstverständige an diese hundertmal durch sein Ohr und seine Kehle gegangenen Worte das Verständniß eines Werkes an, dessen Größe er sonst nicht zu fassen vermöchte. Wie sehr ist es zu bedauern, daß die ganze Form und Richtung un seres Gottesdienstes sich von diesen nie veraltenden Kunstgebilden abwendet; die Kirche nimmt sich selbst ein unübertroffenes Erbauungsmittel, während sie zugleich die Kunst einer Stätte beraubt, aus welcher die vortrefflichsten Werke hervorgegangen sind, und von welcher aus durch mehr als ein Jahrhundert der Musik Form und Styl vorge

schrieben würde, während sie jest ohne Maaß und Ziel dem Zeitvertreibe und der Sinnlichkeit dient, und Geister, welche fähig wären, den er habensten Stoff zu gestalten, nun des wahren Haltepunkts beraubt ihre Kraft in formlosen Phantasiegebilden aufreiben, und wiederum nachtheilig auf die ganze Kunstbildung zurückwirken. Wie gestehen sich selbst diejenigen, welchen die Leitung des Gottesdienstes obliegt, wenn sie zur Bachschen Passton und anderen großartigen Musiken der Art in unsere Singakademie kommen, welche mächtige Erregung dies in ihnen hervorbringe; und warum sollte denn nicht auch die Ges meinderats solche berechtigt sein, von Zeit zu Zeit jene göttlichen Worte durch die Macht der Löne auf sich wirken zu lassen."

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Zum Schlusse kehre ich noch einmal zum Oratorium oder zu ei ner eigenen Bildung desselben zurück. Wenn wir es als Eigenthüm lichkeit des Oratoriums betrachteten, eine Handlung in Lönen mög lichst objectiv aufzufäffen, so wird nach der Beschaffenheit des Dars stellungsmittels, der Musik, offenbar diejenige Handlung dazu am meisten geeignet sein, die mit allen ihren Einzelnheiten jedem im Bysen wohnt, ja welche in ihrer äußeren Erscheinung überall den Geist selbst mit sich führt und sich nur als Geist und. Empfindung-kund macht, icy meine die Erscheinung des Christenthums; und so konnte der uns Sterbliche Händel sein, wie er es selbst nannte Oratorium Messias schaffen, deffen Text bekanntlich aus lanter Bibelstellen zusammengefeßt ist. Und wir können Händel auch den Dichter nennen; denn der Ausdruck gewisser Gedanken, Ideen, ja selbst Händlungen, ist durch die Bibel stereotyp geworden, und wir dürfen einen ganzen Vers gleichfam als ein inhaltreiches Wort ansehen, und aus solchen Dons nerworten seßte der kunstbegabte Mann, in welchem zugleich der tiefste und wahrste Glaube wohnte, feinen Messias zusammen, gleichsam eine Mosaik aus großen Steinen, wie die Gemälde in der Peterskirche, wo alles der Riesenkuppel gemäß ist. Hier finden wir nichts, was uns an unsere eigene Person, an eigne Klage und Schmerz erinnert. Wie die Erscheinung des Christenthums sich vorbereitet in jenen dunkeln Zeiten, so enthält der erste Theil die mächtige Stimme der Propheten, die aus der Finsterniß, welche die Völker bedeckt, julegt in den Chor aufflammt: Uns ist zum Heil ein Kind geboren. Die Erscheinung Christi ist gerade so der äußeren Ausschmückung entzogen, als sie es selber auf Erden war; die Leidensgeschichte hebt mit den Worten an: Siehe das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt. Hier

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schallt keine menschliche Klage dazwischen, und nur Händel durfte es wagen, die legten Augenblicke mit den Worten, die eine einzelne Stimme singt, zu bezeichnen: Er ist dahin aus dem Lande der Lebendigen, und um die Missethat des Volkes ward er geplaget. Aber dieser Tod ist nicht wie in Passionscantaten gleichsam das lezte Ziel, wie er es ja auch wirklich nicht war, sondern nun entwickelt sich erst die Ausbreitung des Christenthums: Der Herr gab das Wort, groß war die Menge der Boten Gottes; und selbst nach dem mächtigen Halleluja schreitet Händel über Tod und Zeit hinweg, und beginnt mit dem einfachen Liede: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt 2c. den lezten Theil der Handlung, die dann, damit endet, daß alle Völker sich vor den Thron hinwerfen mit den Worten: Würdig ist das Lamm, das erwürget ist und hat uns Gott versöhnt mit seinem Blut, zu nehmen Stärke, Anbetung und Macht und Weisheit und Ehre; da denn alle Stimmen zu einem letzten großen Amen sich vereinigen. Und dieser Stoff ist noch nicht ausgesungen, und wird es auch nicht; durch ihn werden noch künftige Geschlechter, die sich ja auch wieder eines Händel erfreuen werden, die Opfer ihrer Kunst darbringen. Und Händel hat auch würdige Nachfolger gefunden, Mozarts Requiem ist vom katholischen Standpunkte aus in ähnlichem Geifte geschrieben ; wäre Haydn ein Protestant gewesen, gewiß würden wir ähnliches von ihm erhalten haben, da ihm aber jener freiere Aufschwung nach seiner Religion fehlte, so wandte er sich nach einer andern Seite, und wie Händel einen Stoff wählte, der nur Geist ist, so griff Haydn gleich= sam das Gegentheil auf, und machte in seiner Schöpfung und seinen Jahreszeiten die Natur zu seinem Gedichte. Auch dieser Stoff hat mit dem Händelschen gemein, daß er keiner Erläuterung bedarf, daß jeder Mensch ihn kennt und fühlt, und so gab Haydn, wie der Pfalmist, allem Todten und Lebenden Stimme und Melodie.

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Und so wollen wir denn zum Schluß es freudig rühmen, daß wo Großartiges in der Musik in dem abgelaufenen Jahrhunderte sich entwickelt hat, es Deutsche waren, die vorangingen; so haben Gluck und Mozart, in fast entgegengeseßtem Sinne, Muster des musikalischen Dramas aufgestellt, die bis heute weder übertroffen noch erreicht sind, so hat Haydn mit frommen Sinne die Natur zu seinem Gedichte ge= macht; so endlich haben die Deutschen und evangelischen Händel und Bach gezeigt, daß es keine Höhe oder Tiefe der heiligsten Empfindungen gebe, zu welchen nicht die Töne sich zu schwingen vermöchten.

XIV.

Nibelungen.

Goethe und die Nibelungen,

die Nibelungen-Handschrift der Königlichen Bibliothek in Berlin,

und

Kaiser Maximilians Urkunde über die Wiener Handschrift.

(Vorgetragen am 28sten August 1835.)

Es fügt sich wohl, am heutigen Gedächtnißtage unseres größten

Dichters, auch unseres größten alten Volks, und Heldenliedes zu ge denken, welches er frühe würdigte, ja rhapsodisch umdichtete, und in eben dem Jahre 1807, wo er meine erste Erneuung desselben so freundlich aufnahm, wie seine Antwort vom 18. Oktober 1807 bezeugt *),

*). „E. H. für das übersendete Exemplar der Nibelungen zu danken, eile ich um so mehr, als ich noch Ihnen und Ihrem Freunde wegen der Lieder ein Schuldner bin, Wie sehr ich dergleichen Arbeiten unserer Vorfahren schäße, brauche ich nicht erst auszusprechen, da ich diese Neigung schon mehrmals durch Nachbildung gezeigt habe. Ja es wäre mir unangenehm, daß ich nicht mehr in diesem Fache gethan, wenn ich nicht eben erlebte, daß jüngere Freunde hier so wpacker eingreifen.

Das Lied der Nibelungen kann sich, nach meiner Einsicht, dem Stoff und Ge halte nach, neben alles hinstellen, was wir poetisch vorzügliches befißen; wohin ich es der Form und dem Gehalt nach einrangiren soll, bin ich bis jezt mit mir selbst noch nicht einig. Man hatte bisher zu sehr mit den alterthümlichen Eigenheiten zu kämpfen, welche das Gedicht für einen Jeden umhüllen, der es nicht ganz eigen studirt und sich hiezu aller Hülfsmittel bemächtigt. Beydeß haben Sie gethan, und uns ist nun die Betrachtung um so viel bequemer gemacht. Indem ich mich nun aufs neue mit dem Gedicht beschäftige und Ihren Anhang studire, so er warte ich mit Verlangen die versprochene Einleitung, weil man erst über verschiedenę Bedingungen, unter denen saß Gedicht entstanden, aufgeklärt werden muß, ehe mas darüber noch weiter zu urtheilen wagt.

Alles Uebrige was Sie uns zusagen, und was sich nach der großen Vorarbeit bald hoffen läßt, wird mir sehr erfreulich sein; so wie die Frage allerdings bedeu

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