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voraus, entweder so, dafs (bei Handlungen) der rechtswidrige Erfolg herbeigeführt oder so (bei Unterlassungen), dafs der herbeigeführte rechtswidrige Zustand aufgehört hat. Die Delikte aber, die nicht vor der Auswanderung, sondern durch sie begangen werden, wie Wehrpflichtverletzung und Fahnenflucht, sind Dauerdelikte, sie hören erst auf, wenn der durch die Auswanderung geschaffene Zustand nicht mehr rechtswidrig ist, das ist mit Fortfall der Pflicht, sei es durch Erfüllung, sei es durch Überschreiten des die Pflicht begründenden Lebensalters, sei es durch Verlust der Staatsangehörigkeit, was noch zu erörtern sein wird. Alles dreies trifft vorliegend nicht zu, wenn der Naturalisierte alsbald nach der Naturalisation und dem Ablauf der fünfjährigen Frist in die Heimat zurückkehrt; auch nach der oben wiedergegebenen Bismarck schen Äufserung stehen Naturalisation und fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt in den Vereinigten Staaten der Erfüllung gleich, es soll so angesehen (fingiert) werden, als ob sie Erfüllung wären, aber sie sind keine Erfüllung.

e) Der staatliche Strafanspruch ist also nicht ausgeschlossen, weil er verjährt ist, noch ist er nach seiner Entstehung nachträglich in Wegfall gekommen, weil etwa, wie oben dargelegt, die Pflicht als nicht bestehend sich herausgestellt hätte. Vielmehr ist in Artikel II ein neuer Strafausschliefsungsgrund gegeben. Er hat mit anderen Strafausschliefsungsgründen, insbesondere der Verjährung, gemeinsam, dafs er eine strafbare Handlung voraussetzt, auf dessen Sühne der Staat verzichtet. Freilich hat er die ganz merkwürdige Besonderheit, dafs er der Person gegenüber einen Verzicht ausspricht, welcher unter Umständen innerhalb der Machtsphäre der Strafgewalt den rechtswidrigen Zustand aufrecht erhält; dafs dagegen die Strafgewalt nicht in der Lage ist, dem rechtswidrigen Zustande ein Ende zu machen, sondern verpflichtet ist, ihn zu dulden, oder doch. nur (durch Ausweisung) den privilegierten Rechtsbrecher aufserhalb ihrer Machtsphäre bringen und so allein sich

aus der schmählichen Lage ihrer ohnmächtigen Gebundenheit befreien kann. Dabei ist fraglich und später eingehend zu prüfen, ob die letztere Ausweisungspraxis rechtlich begründet ist.

VIII. Die Anwendung des Art. II auf die zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden und auf die später in Kraft tretenden Gesetze.

Inwieweit dieser neue Strafausschliefsungsgrund des Artikels II mit den §§ 2 EG. zum M.Str.G.B. und zum M.Str.G.B. kollidiert, ist später zu untersuchen, insbesondere wie man es sich denken soll, dafs Artikel II eines jeden der deutschen Bancroftverträge Straflosigkeit wegen Verletzung von Landesgesetzen über die Wehrpflicht und die Fahnenflucht zusichert, nachdem nunmehr durch die politischen Entwicklungen der 70er Jahre diese Landesgesetze in Fortfall gekommen und an deren Stelle reichsgesetzliche Vorschriften getreten sind. Diese Schwierigkeit ist bisher allgemein übersehen worden. Daher mag sie auch zunächst noch unberücksichtigt bleiben und soll mit der herrschenden Ansicht angenommen werden, dass Artikel II in den einzelnen Bundesstaaten nach den von ihnen abgeschlossenen Verträgen in Anwendung zu bringen sei. Alsdann aber ist wieder bei Betrachtung der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse auf Grund des Artikels II der Mustervertrag mit dem Norddeutschen Bunde zugrunde zu legen.

a) Es sind drei bezw. vier Rechtszustände historisch auseinander zu halten. Die Zeit vor dem Vertrage, soweit sie in die Epoche seiner Gültigkeit noch hineinragt, die Zeit nach dem Inkrafttreten des Vertrages bis zum Inkrafttreten des bürgerlichen und M.Str.G.B. des Deutschen Reiches und die Zeit nach deren Inkrafttreten, und hier treten wieder Änderungen ein durch die Änderung der Wehrverfassung im Jahre 1888 und durch die Einführung der M.Str.G.O. im Jahre 1898. Der Vertrag vom 22. Februar 1868 ist in dem Stück der Gesetzsammlung,

das am 27. Mai 1868 in Berlin ausgegeben worden ist, abgedruckt. Er ist also erst am 10. Juni 1868 in Kraft getreten. Hat der Vertrag rückwirkende Kraft auf alle Rechtsverhältnisse, die vor seinem Inkrafttreten entstanden sind? Hätte er zur Anwendung kommen müssen, wenn ein Norddeutscher, der sich schon vorher der Wehrpflichtverletzung oder der Fahnenflucht schuldig gemacht hat und schon vorher in den Vereinigten Staaten naturalisiert worden ist und sich dort fünf Jahre ununterbrochen aufgehalten hat, bei seiner nach dem 10. Juni 1868 erfolgenden Rückkehr zur Verantwortung gezogen werden soll? Oder beginnt seine Wirksamkeit erst vom 10. Juni 1868, so dafs also von da ab gerechnet ein fünfjähriger Aufenthalt und Naturalisation in den Vereinigten Staaten erforderlich wird und frühestens am 10. Juni 1873 seine Schutzbestimmungen in Anwendung gebracht werden könnten? Die Bestimmung des Artikels II hat rückwirkende Kraft. Dies folgt aus dem Wortlaute des deutschen Textes von Artikel I in Ergänzung der engeren Fassung des englischen und aus der Unkündbarkeitsperiode von zehn Jahren. Der engere englische Text des Artikels I konnte zu Zweifeln Anlafs geben. Deshalb drang der amerikanische Senat noch auf Hinzufügung eines Amendements1 zum Vertrage, welches ihm die rückwirkende Kraft ausdrücklich beilegte. Dasselbe hat nur völkerrechtliche Bedeutung; es ist von den gesetzgebenden Organen des Norddeutschen Bundes nicht angenommen und hier überhaupt nicht veröffentlicht und nicht bekannt gemacht worden. Also war nicht der Richter, sondern nur die Regierung aus jenem Amendement zur Anwendung verpflichtet. Aber aus dem Vertrage selbst mufste man zu gleichen Ergebnissen kommen. Einen Vertrag für zehn Jahre unkündbar abzuschliefsen, der erst nach Ablauf der halben Vertragszeit in Wirksamkeit treten soll, ist widersinnig.

1 Anlage I, 3.

2 Meines Wissens ist der Abdruck in den Beilagen der erste in einem deutschen Werke.

Sollte er erst auf die Personen Anwendung finden, welche seit Abschluss des Vertrages sich fünf Jahre ununterbrochen in den Vereinigten Staaten aufhalten und dort naturalisiert werden, so hätte ein solcher Satz eben deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Freilich ist für die Anwendbarkeit des Vertragsgesetzes nicht der Abschlufs des Vertrages (22. Februar 1868), sondern, wie gesagt, das Inkrafttreten des Vertragsgesetzes am 10. Juni 1868 massgeblich. Bis dahin war nach der alten Praxis zu verfahren, nach welcher Wehrpflichtverletzung (§ 110 des preussischen Str. G.B. vom 14. April 1851) als Dauerdelikt vor dem Wegfall der Pflicht der Verjährung nicht unterliegt, während die Fahnenflucht überhaupt unverjährbar war (§ 73 Str.G.B. für das preussische Heer). Diese Rechstslage mag die Ansicht begründet erscheinen lassen, dafs die noch nach preufsischem Militärstrafrecht zu beurteilende Fahnenflucht des Schutzes von Artikel II nicht teilhaftig war. Jedoch interessiert heute die Geltung des preufsischen Militärstrafrechts, das im norddeutschen Bunde herrschte, praktisch nicht mehr. Historisch aber ist bedeutsam, dafs es bis zum 1. Oktober 1872, dem Inkrafttreten des M.Str.G.B., die einheitliche Grundlage für die Anwendung bezw Nichtanwendung des Artikels II abgab. Bei der Zersplitterung des bürgerlichen Strafrechts dagegen galten in den Einzelstaaten bis zum 1. Januar 1871, dem Inkrafttreten des Str.G.B. für den norddeutschen Bund, verschiedene Rechtssysteme, in welche der allgemeine Rechtssatz des Artikels II eingriff. Mit dem 1. Januar 1871 hörte die Verschiedenheit der Rechtsgrundlage des bürgerlichen Strafrechts für die Anwendung des Artikels II in dem Gebiete des norddeutschen Bundes und Hessens südlich des Maines1 auf. Die Rechtsquelle des Str.G.B. für den norddeutschen Bund war als solche bis zum 1. Januar 1872 in Geltung. Mit diesem Tage wurde sie Reichsrecht und verdrängte das

1 Vgl. von Liszt a. a. O. §§ 8 u. 11. Staats- u. völkerrechtl. Abhandl. V 1. Bendix.

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noch in Württemberg, Baden und Bayern geltende, dieselbe Materie betreffende Landesrecht. Seit dem 1. Oktober 1872 aber ist für das ganze Reich ein einheitliches Militärund bürgerliches Strafrecht bei Anwendung des Artikels II mafsgeblich.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes, betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten vom 16. April 1886

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10. Sept. 1900

§ 31 in Verbindung mit § des Gesetzes über die Konsular

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10. Juli 1879 7. April 1900

gerichtsbarkeit vom gilt auch das bürgerliche Strafrecht in den deutschen Schutzgebieten, so dafs also auch hier § 140 Str.G.B. verletzt und Artikel II des Vertrages praktisch werden kann. Durch zwei kaiserliche Verordnungen vom 26. Juli 1896 betreffend die Einführung der deutschen Militärstrafgesetze in den afrikanischen Schutzgebieten und betreffend das strafgerichtliche Verfahren gegen Militärpersonen der Kaiserlichen Schutztruppe ist endlich auch das materielle Reichs- und formelle preufsische Militärstrafrecht für die Kaiserlichen Schutztruppen gültig, da nunmehr unter Heer im Sinne des M.Str.G.B. auch die Kaiserlichen Schutztruppen zu verstehen sind. Dies führt schon zu einem weiteren Punkte, nämlich dazu, dass ganz entsprechende historische Wandlungen eine andere Rechtsgrundlage für die Anwendung des Artikels II durchgemacht hat:

b) Die Wehrverfassung. Auch diese Wandlungen sind nicht ganz einfach. Wohl galt das Kriegsdienstgesetz von 1867 im ganzen Gebiet des norddeutschen Bundes, und wohl wurde es mit Einführung der preufsischen Militärverfassung in den Südstaaten Reichsrecht. Aber die älteren Rechtszustände in den Einzelstaaten des Bundes, insbesondere auch in den altpreussischen Landesteilen betreffend die

1 D.K.G. Teil I S. 23, 24, 29, Teil V S. 50.
2 D.K.G. Teil II S. 257, Teil III S. 67.

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