Imagini ale paginilor
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der bisher noch durch äußeren Schein verdeckt worden war, in seiner ganzen Nacktheit. Denn wo war für den immer tiefer sinkenden Staat ein Halt zu finden, als ein schwaches, von Intriguanten beherrschtes Weib, Maria Anna von Oesterreich, die Zügel des Reiches, deren Führung schon für Philipp III. und IV. zu schwer gewesen war, in ihre Hände befam? Die Schuldenlast des Landes war in Folge der unaufhörlichen Kriege in ungeheuerm Maaße gewachsen, so daß nur die Entvölkerung desselben mit ihr etwa gleichen Schritt hielt; es bedurfte der reichhaltigsten Hülfsquellen, um sie nur einiger Maaßen zu decken; aber solche Hülfsquellen flossen nirgends. Die Besigungen Spaniens in den Niederlanden waren auf einen sehr geringen Rest zusammengeschrumpft, und die für ihre Verwaltung und Behauptung erforderlichen Summen beliefen sich höher als die, welche sie einbrachten; die unermeßlichen Provinzen in der neuen Welt bestrahlten die Kronen von Castilien zwar noch immer mit einem Schimmer von Macht, aber ihr reeller Ertrag, der in Folge einer grundverkehrten Organisation schon von jeher hauptsächlich in die Hände von Abenteurern und treulofen Verwaltern geflossen war, wurde durch den systematischen Krieg, welchen Engländer, Holländer und Franzosen in den amerikanischen Meeren gegen die spanische Macht führten, vollends absorbirt. Schon unter Philipp IV. war diese Zerrüttung allerdings in vielfachen Symptomen kenntlich geworden, und was die Akte der Politik anlangt, so kann seine Herrschaft gewiß nicht für glorreich gehalten werden; allein die vielen glänzenden Eigenschaften dieses Fürsten und seine ruhmwürdigen Bestrebungen auf anderen Gebieten hatten immer noch einen Nimbus um sein Haupt gebreitet, welcher auf die ganze Monarchie zurückfiel und über die steigende Corruption des ganzen Staatskörpers

täuschen konnte. Das Nationalgefühl, die Quelle alles Großen in der spanischen Literatur, war daher auch noch durchaus nicht irre geworden und fah Spanien noch immer auf jener Höhe von Macht und Glanz, auf welcher es unter Karl V. gestanden hatte. Wie sehr mußte sich nun dies Alles ändern, als das gewaltige Reich, außen von Feinden bedrängt, im Innern der äußersten Erschöpfung nahe, in einem schwächlichen, noch unter mütterlicher Vormundschaft stehenden Knaben seine einzige Stüße fand! als es den Hof, von welchem die energischsten Maaßregeln hätten ausgehen sollen, zum Siz der Indolenz und zum Tummelplag nichtswürdiger Intriguen umgewandelt sah! Die Hoffnung, der wirkliche Regierungsantritt Karl's II. werde eine Wendung der Dinge zum Besseren herbeiführen, erwies sich als vergeblich, und in der That hatten sich die Geistesgaben des lezten Sprößlings der Habsburgischen Dynastie von früh an als so gering angekündigt, daß kaum irgend Jemand sich einer solchen Hoffnung hingegeben hatte. Träge und kraftlos, unfähig, sich zu geistiger Thätigkeit, wie zu geistigen Genüssen zu erheben, saß dieser Schattenkönig auf dem Throne, der, umleuchtet von den Flammen des lezten Auto da Fé, unter ihm zusammenbrach, während eine der spanischen Provinzen nach der andern in fremde Hände überging und die Bourbonischen wie die Habsburgischen Vettern begierig lauerten, das erledigte Erbe anzutreten. Unter diesen Umständen mußte denn wohl das Reich, das lange als die erste politische Macht in Europa dagestanden hatte, tief und tiefer in der allgemeinen Achtung sinken und selbst der hochfahrendste Spanier konnte sich nicht mehr länger über die Herabgesunkenheit seines Landes täuschen. Daß sich dieser allgemeinen Ebbe der spanischen Dinge auch die Literatur anschloß, war nicht anders zu erwarten.

Das Theater hatte sich allerdings noch eine Zeit lang der königlichen Gunst zu erfreuen. Wir werden im Leben des Calderon sehen, daß dieser mit der Abfassung verschiedener Festspiele für den Hof Karl's II. beauftragt wurde; auch lesen wir von einzelnen Vorstellungen, welche dem Volke öffentlich auf königliche Kosten gegeben wurden 16a); allein es scheint daß diese einzelnen Gunstbezeigungen gegen die dramatische Kunst mehr eine Folge der Gewohnheit oder Prunksucht, als einer wahren Neigung für dieselbe gewesen seien; und wären die Unterstügungen vom Throne herab auch kräftiger gewesen, als sie es in Wahrheit waren, sie hätten nicht verhindern können, daß die Schauspielpoesie in den allgemeinen Verfall des Landes und seines geistigen Lebens mit herabgezogen würde. Wie sehr unter den ungünstigen äußern Umständen die Liebe und Achtung des Publikums für die Bühnenliteratur und da mit zugleich die Thätigkeit der Theaterdichter ermattete, geht recht deutlich aus einer Stelle in Moreto's Lustspiel La ocasion hace al ladron hervor 17). Hier findet sich folgende

16a) So erzählt die Gräfin d'Aunoy (in ihren Mémoires de la Cour d'Espagne, deutsch als: Spanische Staatsgeschichte, Leipzig 1703. S. 289: "Die Königin Mutter hielt sich (1680) zu Buen Retiro auf, und weil sie sich sonderlich bemühte, die Gunst des gemeinen Volkes zu ge= winnen, so ließ sie drei Comödien mit untermengter Musik auf öffentlichem Marktplag in Madrid spielen, damit eine große Menge Volkes diefelben umsonst mit ansehen könnte. Die Comödianten spielten drei Tage nach einander und war der Zulauf und das Gedränge so groß, daß etliche Personen darüber erdrückt wurden. Es schien auch das gemeine Volk an diesen Spielen ein großes Vergnügen zu haben, wie man sie denn in Spanien mehr als irgendwo auf der Welt liebt.

17) Daß dieses Stück der hier in Rede stehenden späteren Periode angehört, geht aus folgenden Worten hervor:

Klage: Man sieht heut zu Tage wenige neue Comödien und nur von Zeit zu Zeit die eine oder die andere von einem Dichter, der auf höhere Weisung für den Hof schreibt. Dieser freilich ich meine Calderon — dichtet mit solchem Geschick und solcher Originalität, daß er stets sich selbst zu übertreffen scheint; aber im Allgemeinen steht die dramatische Kunst nicht, mehr in der Achtung wie früher und daher widmet sich auch Niemand mehr mit dem gehörigen Fleiße einer so edlen Aufgabe. Mit wie vielen Lorbeeren belohnte nicht das Alterthum Männer von Talent, und daher kam es, daß damals so viele hervorragende Dichter blühten; aber o Wechsel der Zeiten! Was einst hochgehalten und göttlich genannt wurde, ist jezt beinahe zu einer Schmach geworden!"

Obgleich sich nun der Verfall der dramatischen Literatur und Kunst unter der Regierung Karl's II. nicht verkennen läßt, so ist doch dieser Zeitraum der Theatergeschichte durch so viele Umstände mit dem vorigen verknüpft, daß es unmög

Del Imperio

Es ya nuestra Infanta Aurora,
Cuyo divino portento

Las aguilas la juraron

Por su Emperatriz: muy presto

Por Francia hará su jornada,

Dando à Paris rayos bellos,

Porque su hermana y su tia,
Christianisimos luceros

Del orbe, esmalten sus luces

Con tan glorioso trofeo.

Dies geht offenbar auf Philipp's IV., zweite Tochter Margarethe, welche auf der Reise zu ihrem Gemahl, Kaiser Leopold I., zuerst einen Besuch bei ihrer Schwester, der Königin von Frankreich, machte; hiernach ist das Drama in das Jahr 1665 oder 1666 zu sehen.

lich ist, ihn von demselben abzutrennen. Calderon, Kojas und mehrere andere bedeutende Dichter fuhren fort, für die Bühne zu schreiben, und wenn auch die Werke ihrer späteren Zeit nicht mehr den früheren gleich kommen, so haben doch selbst die schwächeren Productionen dieser Meister noch immer Ansprüche, zur Blüthenperiode des spanischen Theaters gerechnet zu werden. Von den in dieser Zeit neu auftretenden Dramatifern darf freilich Keiner gleichen Rang mit Lope, Tirso, Alarcon, Calderon, Rojas und Moreto prätendiren, und überhaupt zeichnet sich Keiner von ihnen durch besondere Originalität aus; indessen darf man sich auf der andern Seite ihre Leistungen auch nicht als zu unbedeutend vorstellen. Die Mittagshöhe des spanischen Drama's war vorüber, aber die Sonne warf auch noch im Sinken einzelne helle Strahlen. Erst mit dem achtzehnten Jahrhundert und dem Successionskriege erlischt auch das lezte Licht, das mit selbsteigener Kraft leuchtete, und es beginnt ein neuer Abschnitt, von dem man mit Bestimmtheit behaupten kann, er gehöre nicht mehr zur Blüthenperiode des spanischen Theaters.

Calderon.

Die schwülstige Lobrede auf Calderon von Vera-Tassis ist fast die einzige Quelle für die Lebensgeschichte dieses seltnen Mannes. Der Freund und erste Herausgeber des großen Dichters würde sich größern Dank bei der Nachwelt verdient haben, wenn er den Raum, den er zu geschraubten und pomphaften Eulogien verwendet, mit ausführlichern biographischen Nachrichten ausgefüllt hätte. Was er von letterer Art mittheilt, ist im Wesentlichen Folgendes:

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