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wird man zugeben, daß man jene Zahl dreift verzehnfachen könne ohne in Uebertreibung zu verfallen. Erzählt doch Riccoboni (Réflexions sur les différens théatres de l'Europe, Amsterdam 1740, pag. 57) die in keiner Art unwahrscheinliche Anekdote, ein Buchhändler in Madrid habe sich eine Sammlung von spanischen Comödien anonymer Verfasser angelegt und binnen kurzer Zeit viertausend achthundert solcher Comedias de un, dos, tres Ingenios de esta Corte zufammengebracht.

In gleichem Maße, wie die Zahl der Dichter, vermehrte sich unter Philipp's IV. Regierung auch die der Bühnen und Schauspieler. Selbst die geringfügigsten Städtchen und Weiler wollten hier und da den Genuß dramatischer Darstellungen haben. Dies Ueberhandnehmen der Histrionenbanden und mancher dadurch herbeigeführte Unfug zog verschiedentlich die Augen der Regierung auf sich und sie that Schritte, demselben zu steuern; allein diese waren nicht energisch genug, um durchdringen zu können, und die beschränkenden Verfügungen, welche hier und da erlassen wurden, waren immer bald wieder überschritten. Sehr deutlich geht dies aus einem Memorial hervor, welches der Schauspieler Christobal Santiago Ortiz um das Jahr 1647 an den König richtete, um ihn auf die Aufrechthaltung der Ordnung in dem Schauspielwesen aufmerksam zu machen. Hier ersieht man, daß der Nath von Castilien die Zahl der Schauspielertruppen ursprünglich auf sechs beschränkt und sich die Ernennung der Direktoren vorbehalten hatte, daß aber bald die Zahl dieser concessionirten Gesellschaften bis auf zwölf angewachsen war. Auf die Ueberschreitung dieser Zahl waren schwere Strafen gesezt worden, aber troß dem gab es zur Zeit des Bittstellers vierzig Truppen, welche zusammen an tausend Mitglieder zählten und unter denen sich

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Verbrecher, entflohene Mönche und abtrünnige Geistliche befanden, die sich so unter dem Deckmankel der Schauspielerzunft und durch das Umherziehen von Ort zu Ort der Justiz entzogen. Der Scandal und unordentliche Lebenswandel, den diese Leute führen sagt der genannte Schriftsteller ist groß, und da ihr lustiges Handwerk überall beliebt ist, so finden sie an jedem Ort, wohin sie kommen, junge Leute, welche sich zu ihren Beschüßern aufwerfen; ja sie wissen die Justiz selbst zur Nachsicht zu stimmen, indem sie gemeiniglich die Weiber, die sie mit sich führen, zu ihren Fürsprecherinnen machen. Die Habgier, mit welcher die Eigenthümer von Schauspiellocalen diese beständig zu vermiethen trachten und sich dabei des Vorwandes bedienen, daß die Hospitäler sonst Mangel leiden müßten, ist die Hauptursache dieses Unfugs, denn man hat seit zwanzig Jahren so viele Schauspielhäuser erbaut, daß es nur wenig Städte, ja ganz unbedeutende Flecken gibt, in denen sich nicht eines fände. Da nun alle diese Häuser beständig vermiethet werden sollen, so gibt dies Anlaß zu dem Entstehen so vieler Landstreicherbanden, indem die Vermiether selbst ihnen mit Geldvorschüssen zu Hülfe kommen.“

Die Theater de la Cruz und del Principe zu Madrid blieben nach wie vor in demselben Verhältniß zu den Hospitälern, das wir früher kennen gelernt haben. In Bezug auf ihre innere Einrichtung haben wir einen Ausdruck zu erklären, welcher gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts aufkam und seit dieser Zeit in den Bühnenschriften häufig vorkommt, nämlich den Namen Tertulia. Man nannte so die Logen der oberen Reihe, welche früher Desvanes geheißen hatten und in denen vorzugsweise das gebildete Publikum und die Geistlichen ihre Pläge nahmen. Es war damals Mode, den Tertullian zu studieren und namentlich hatten die Priester die

Gewohnheit, ihre Predigten durch Citate aus seinen Werken zu zieren, weshalb man sie scherzweise Tertullianten und ihren Plaß die Tertullia nannte. Aus diesen Logen, denen man schon früher den Ehrentitel gelehrte Desvanes" geliehen hatte, kamen die Urtheile, auf welche die Dichter, als auf die von Kennern, das meiste Gewicht legten. Im Uebrigen ging mit der Einrichtung der genannten Corrales keine Veränderung vor und sie blieben, während die Bühne von Buen Retiro einen bisher ungesehenen Lurus entfaltete, im Maschinismus und Decorationswesen ziemlich auf derselben Stufe stehen, auf der sie sich gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts befunden hatte. Indeß in dem Hoftheater nur eine auserlesene, aus den durch Rang oder Geist ausgezeichnetsten Personen bestehende Gesellschaft Zutritt fand, strömte die große Menge des Volks mit unersättlicher Begierde in die Comödienhäuser der Stadt, und die Mosqueteros gaben ihr kritisches Votum noch immer in derselben lärmenden Weise ab, wie früher; ja die Macht, welche sie durch ihre tobenden Aeußerungen des Beifalls oder Mißfallens ausübten, soll in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ihren höchsten Gipfelpunkt erreicht haben. Nach Caramuel hatte sich zwischen 1650 und 1660 einer dieser Musketiere, ein Schuhflicker Namens Sanchez, zum Aristarchen der Bühne aufgeschwungen und übte einen solchen Einfluß, daß die günstige oder ungünstige Aufnahme eines Stückes beinahe allein von ihm abhing und angehende Dramatiker sich vor der Aufführung ihrer Schauspiele seines Wohlwollens zu versichern suchten. Der genannte Schriftsteller erzählt hiervon folgende Anekdote. Ein talentvoller Dichter hatte eine Comödie geschrieben, welche zur Darstellung angenommen worden war und von den vorzüglichsten Schauspielern aufgeführt werden sollte; dennoch war er wegen des Erfolges zweifelhaft

und beschloß, aus Furcht vor der Insolenz des Patio, dem Señor Sanchez einen Besuch zu machen, um ihn günstig für sich zu stimmen. Er wandte sich deshalb an einen Freund, der mit dem gefürchteten Schuhflicker bekannt war, ließ sich durch ihn bei dem Leyteren einführen und trug in schüchterner Weise und mit zitternder Stimme seine Sache vor, wie jene Comödie die Erstlingsfrucht seiner Muse sei und wie von ihr sein künftiger Ruhm und seine Achtung unter den Menschen abhänge. Der Schuster hörte die demüthige Rede mit gravitätischer Miene und gerunzelter Stirn an und verabschiedete am Schlusse den Dichter mit den abgemessenen Worten: „Seien Sie nur getrost, Herr Poet, Ihr Stück wird die Aufnahme finden, die ihm nach Recht und Verdienst zukommt 1o).“ —

Auf diese Herrschaft des Pöbels in den Schauspielhäusern spielt auch ein satirischer Dichter dieser Zeit an, indem er sagt: „Nun kehren die Schuster zu ihren Leisten zurück und man erkennt in ihnen kaum die hochfahrenden und stolzen Musketiere wieder, welche Poet und Schauspieler durch flehende Bitte, durch heitere oder trübe Mienen nicht erweichen konnten. Am nächsten Abend aber wirft der Schuhflicker seine Stiefelsohlen wieder bei Seite, läßt sein donnerndes Geschüß los und verwandelt sich in einen Bliß, der die schlechten Poeten zu Boden schmettert ").“

Die Furcht vor den Pfeifen der Mosqueteros war es, was viele Dichter bestimmte, ihre Comödien anonymn auf die Bühne zu bringen, und da, wie gesagt, die Tyrannei dieses kritischen Pöbels gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts höher stieg, als je zuvor, so begegnen wir in dieser

10) Caramuel, Primus Calamus, T. II. p. 690.

11) Pellicer I., p. 216.

Zeit solchen Comödien ungenannter Verfasser in größerer Zahl, als früher. Das gewöhnliche Aushängeschild der Stücke war in diesem Falle de un Ingenio, wozu, wenn der Verfasser in Madrid wohnte, der Beisag de esta Corte 12) gefügt wurde. Unter den mit dieser Bezeichnung versehenen Schauspiele mögen sich, wie die Tradition behauptet, auch einige befinden, an deren Abfassung Philipp IV. Theil genommen hat, aber, wie schon gesagt, ein handgreiflicher Irrthum, der nur durch eine sehr oberflächliche Kenntniß der spanischen Literatur veranlaßt werden konnte, ist es, sie sämmtlich diesem Könige zuzuschreiben. Die Anzahl der noch heute vorhandenen Comedias de un Ingenio ist außerordentlich groß, auch hat man deren, die von mehreren Dichtern in Gemeinschaft verfaßt sind und, je nach der Menge der Mitarbeiter, die Ueberschriften „von zwei, drei Ingenios“ u. f. w. führen; ja es gibt sogar Beispiele, daß sechs Dramatiker zu einem Werke zusammentraten13). Die durch die Vereinigung Mehrerer entstandenen Comödien gehören größtentheils zu den schwächsten Erzeugnissen der spanischen Bühnenpoesie, was wohl schon durch den Entstehungsproces bedingt wurde. Es ist kaum denkbar, daß sich zwei Geister von hinlänglich gleichartiger Organisation finden sollten, um ein Werk wie aus Einem Sinne schaffen zu können; wie viel weniger aber wird dies erst bei sechs Mitarbeitern möglich sein! Daß eine solche Betheiligung verschiedener Dramatiker bei demselben Werke zur Zeit des Calderon mehr und

12) Man hat sehr Unrecht, zu glauben, daß durch diese Benennung eine nähere Beziehung zum Hofe angedeutet werde, denn unter la Corte ward ganz allgemein nur die Nesidenz verstanden.

13) S. z. B. das Stück Vida y Muerte de San Cayetano, de seis Ingenios de esta Corte, im 38sten Bande der großen Sammlung von Comedia nuevas escogidas.

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