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die fortdauernde Handlung bezw. Unterlassung die rechtliche Beurteilung erfahre, welche zu der Zeit der fortdauernden strafbaren Tätigkeit gelte; dies scheint der einheitliche Standpunkt des Generalauditoriats zu sein. Vielmehr ergibt die rechtliche Natur jener Delikte gerade, dass der mit der Vollendung der Delikte unter dem alten Rechte geschaffene rechtswidrige Zustand durch strafbare Unterlassung fortdauere. Dieser rechtswidrige Erfolg ist unter dem alten Rechte herbeigeführt und kann gemäfs § 2 Abs. 1 und 2 des Str.G.B. auch bei seiner Fortdauer durch neue Gesetze in keiner Beziehung anders qualifiziert werden. Man denke sich doch nur einmal praktisch den Standpunkt des Auditoriats zu Ende: die Dienstpflicht würde etwa noch weiter verlängert oder alsbald nach der Verlängerung wieder verkürzt usw. Jede Rechtssicherheit ginge verloren.

c) Demnach beginnt die fünfjährige Verjährungsfrist der Strafverfolgung einer Person, die im 20. Lebensjahre im Jahre 1888 aber vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 11. Februar 1888 fahnenflüchtig geworden ist, nach 12 Jahren, so dafs eine Strafverfolgung und Bestrafung im Jahre 1905 nicht mehr erfolgen kann. Ist die Fahnenflucht aber nach jenem Gesetze begangen, so beginnt die Verjährung nach 19 Jahren und ist erst vollendet im Jahre 19121. Verletzt ein 17 jähriger Anfang des Jahres 1888 vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 11. Februar 1888 seine Wehrpflicht (§ 140, Z. 1 Str.G.B.), so beginnt die fünfjährige Verjährungsfrist in seinem 42. Lebensjahre, ist also vollendet im Jahre 1918; geschieht die Begehung nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, so ist die Strafverfolgung des Delikts erst im Jahre 1921 verjährt. In diesen Zeitraum greifen mildernd ein die Bestimmungen der Bancroft

1 Die Streitfrage, ob unter „Verpflichtung zum Dienste" auch die Pflicht zum Dienste im Landsturm gehört (Weiffenbach, M.St.G.B., S. 60; Hecker, Komm., Anm. 2 zu § 76) kann jetzt wohl als negativ entschieden gelten.

verträge und die über den Verlust der Staatsangehörigkeit. Jedenfalls ist dies für die Wehrpflichtverletzung unbestritten'. Geht also der Siebzehnjährige nach den Vereinigten Staaten von Amerika und kehrt und kehrt nach fünfjährigem ununterbrochenem Aufenthalt und erfolgter Naturalisation nach der Heimat zurück, so kann er als Zweiundzwanzigjähriger unter dem Schutz des Artikel II der Bancroftverträge nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Wandert er nach einem anderen Staate aus, so verliert er nach 10 jähriger Abwesenheit die deutsche Staatsangehörigkeit und die Verjährung der Wehrpflichtverletzung beginnt mit diesem Zeitpunkt. Mithin liegt in solchem Falle zwischen Auswanderung und der Möglichkeit straffreier Rückkehr ein Zeitraum von 15 Jahren; wer 1888 durch Auswanderung eine Wehrpflichtverletzung begeht, mag das unter jenem Gesetze vom 11. Februar 1888 geschehen oder nicht, kann bei Auswanderung nach den Vereinigten Staaten im Jahre 1893 und bei Auswanderung nach einem anderen Staate im Jahre 1903 unter den angegebenen Voraussetzungen straffrei zurückkehren. Entsprechendes gilt nach unseren früheren Ausführungen für die Fahnenflucht, die durch Auswanderung nach den Vereinigten Staaten von Amerika begangen wird. Wer 1888 fahnenflüchtig wird, indem er nach den Vereinigten Staaten auswandert, kann 1893 bei seiner Rückkehr deswegen nicht bestraft werden, wenn er die Zwischenzeit von 5 Jahren ununterbrochen dort sich aufgehalten hat und in dieser Zeit naturalisiert worden ist.

XI. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bewirkt auch bei der Fahnenflucht den Beginn der Strafverfolgungsverjährung.

a) Dagegen wird ganz allgemein angenommen, dafs der Verlust der Staatsangehörigkeit auf die Verjährung der

1 Vgl. Weigel, Zuständigkeitsgrenzen, S. 43, 44, 46, und die bekannten Kommentare und Lehrbücher zum Str.G.B. zu § 140.

Strafverfolgung der Fahnenflucht keinen Einfluss habe. Der Wortlaut des § 76 M.Str.G.B. spricht auch für diese Ansicht. Ihr ist jedoch in der vagen und unscharfen Fassung, wie sie vertreten wird, nicht beizupflichten. Wohl ist es richtig, dafs die erworbene fremde Staatsangehörigkeit die frühere Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten gegen das Deutsche Reich nicht aufhebt und die Fortdauer dieser Verletzung nicht unmöglich macht, weil eben durch jenen Erwerb die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren geht. Die durch Artikel II der Bancroftverträge gewährte Straffreiheit ist unabhängig von der Frage, ob der naturalisierte Amerikaner seine deutsche Staatsangehörigkeit noch besitzt oder nicht. Die Verträge lassen, wie wir sahen, diese Frage absichtlich ganz unberührt, ja es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs prinzipiell bei Abschlufs der Verträge vorausgesetzt wurde, dafs auf deren Grundlage durch den Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit die deutsche nicht verloren gehen sollte. Über den Verlust der Staatsangehörigkeit entschied aber vor wie nach Abschlufs der Bancroftverträge, unabhängig von diesen, das Landesrecht der einzelnen deutschen Staaten. Die Bedeutungslosigkeit des Vertrages vom 22. Februar 1868 für den Verlust der Staatsangehörigkeit scheint völlig übersehen worden zu sein, als man im Gesetz vom 1. Juni 1870 in Absatz 3 § 21 bestimmte, dafs durch Staatsvertrag die zehnjährige Frist, welche den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach Absatz 1 herbeiführte, auf eine fünfjährige vermindert

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1 Herz-Ernst, M.Str.G.B., Anmerkung 1 zu § 76. Auf die R.G.E.str. Bd. 28 S. 127 kann man sich nicht stützen, weil sie sich über das hier in Frage kommende Aufhören des strafbaren Zustandes mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit als der Voraussetzung der Strafbarkeit gar nicht ausläfst. Vgl. von Koppmann, Kommentar, Anm. 8 zu § 76 S. 280; Schlayer, M.Str.recht a. a. O. u. a. m.

2 Ich sage kurz die deutsche anstatt richtiger die norddeutsche oder die bayerische, badische usw., wie ja auch in Art. IV des norddeutschen Vertrages einfach von Deutschen anstatt richtig von Norddeutschen die Rede ist, worauf schon Wedekind S. 7 aufmerksam gemacht hat.

werden könne. Damit wollte man bekanntlich die Bancroftverträge treffen. Deren Vorschriften aber gehen, wie gesagt, dahin, dafs der fünfjährige ununterbrochene Aufenthalt und die Naturalisation in den Vereinigten Staaten die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufhebe; jedenfalls aber bestimmen sie nicht, dass durch fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten die deutsche Staatsangehörigkeit verloren gehe. Sie besteht fort mit allen ihren Rechten und Pflichten, mit Ausnahme der Pflichten, von deren Verletzung Artikel II Straffreiheit gewährt. Daher ist

1 Die Lehre von der Limitation der Staatsangehörigkeit (Grabowsky S. 29 ff.) dem Fortbestehen eines gewissen Angehörigkeitsverhältnisses zu Deutschland (Cahn S. 163) nach zehnjährigem ununterbrochenem Aufenthalte im Auslande liefse sich für die hier vertretene Ansicht betreffend die fünfjährige Frist bei den Bancroftverträgen gut verwerten. Doch beruht sie meines Erachtens auf einer Verkennung der rechtlichen Natur der Normen des öffentlichen Rechts: Im Privatrecht korrespondieren notwendig die Rechte der einen Person mit entsprechenden Pflichten anderer, die Verpflichtungen des Bundesstaates zur Wiederverleihung der Staatsangehörigkeit und zur Begründung des Wiedererwerbs derselben durch Erteilung einer Aufnahmeurkunde nach Abs. 4 u. 5 § 21 Indigenatsgesetzes haben keine Rechte oder Ansprüche derjenigen, gegenüber denen die Verpflichtungen bestehen, zur Voraussetzung. Vielmehr handelt es sich um eine gesetzlich festgelegte Selbstbeschränkung der Staatsgewalt, eine rechtliche Gebundenheit, ein rechtlich gültiges Versprechen, wenn man will, das sie einlösen mufs, nicht weil dadurch dem andern ein Recht eingeräumt wird, sondern weil darin eine Beschränkung der eigenen Machtbefugnisse liegt bezw. eine Anwendung derselben eben gesetzlich in Aussicht gestellt worden ist (vgl. Laband Bd. I S. 138 nebst Anmerkungen). Darauf, dafs jene Verpflichtungen der Staatsgewalt bestehen, kann man sich nicht stützen, um zu beweisen, dafs die Staatsangehörigkeit eine Tatsache, ein status und ihr „Verlust" nur eine Limitation sei. Vielmehr ergibt sich gerade umgekehrt: Wenn von einer Wiederverleihung, einem Wiedererwerb in Abs. 4 u. 5 § 21 1. c. gesprochen wird, so kann sich dies nicht auf eine Tatsache, einen Personenstand, sondern nur auf die Rechtsstellung beziehen. Ob diese öffentlich rechtlich anerkannte Rechtsstellung als ein Inbegriff von subjektiv-öffentlichen Rechten anzusehen ist, sei hier dahingestellt. Die Unrichtigkeit der Vergleiche Labands (Band I S. 127) ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Gesagten: Alter, Geschlecht, Stand usw. lassen sich nicht wieder verleihen und wieder erwerben. Dann ist es immer noch richtiger, mit Gareis (Staatsrecht S. 141) die Staatsangehörigkeit als eine Eigenschaft zu bezeichnen. Eine solche Bezeichnung hat wenigstens den Vorzug, dafs sie zu interessanten Vergleichen aus den darwinistischen Lehren von den angeborenen und erworbenen, wieder verloren gegangenen und wieder erworbenen Eigenschaften Gelegenheit gibt. Vgl. Dogmengeschichtliches und Kritisches bei Grabowsky S. 7 ff. und Arndt S. 47.

Absatz 3 von § 21 so gut wie gegenstandslos. Es hat keine deutschen Staatsverträge gegeben und gibt keine, welche die zehnjährige Frist auf eine fünfjährige vermindern. Doch hierauf ist später noch einmal zurückzukommen. Hier interessiert allein, dafs es unrichtig ist, zu sagen, die Bancroftverträge enthielten eine Ausnahme von der Regel, nach welcher der Verlust der Staatsangehörigkeit auf die Verjährung der Strafverfolgung bei Fahnenflucht ohne Einflufs sei. So viel ist freilich zuzugeben, dafs die fremde Staatsangehörigkeit kein Grund ist, wegen Fahnenflucht nicht zu bestrafen, jedoch nur deshalb kein Grund, weil die ursprüngliche dadurch gar nicht getroffen wird. Es gibt eben Personen, welche zwei und mehr Staatsangehörigkeiten besitzen; aber dann gilt jene angebliche Regel nicht, wenn die eigene Staatsangehörigkeit verloren geht, und dies ist (auch auf Grundlage der Bancroftverträge) bei zehnjähriger Abwesenheit vom deutschen Reiche der Fall. Dies scheint mit dem Wortlaut des § 76 M.St.G.B. in Widerspruch zu stehen. Aber auch nur mit dem Wortlaute.

b) Bekanntlich ist der § 76 durch den Reichstag eingefügt worden. Ursprünglich lautete er im Anschluss an das preufsische M.Str.G.B. und schon unter Einschränkung der von ihm aufgestellten Unverjährbarkeit: „Die Strafverfolgung wegen Fahnenflucht verjährt nicht, so lange sich der Täter durch seine Abwesenheit der Verfolgung entzieht“, ein Satz, der nach den früher in Geltung befindlichen Militärstrafgesetzbüchern der deutschen Einzelstaaten 1 galt, und der ganz allgemein noch im nordamerikanischen Militärstrafrecht gilt, wie wir später sehen werden. Der § 76 hat sich in Gegensatz zu diesen überlieferten Ansichten gestellt und damit deutlich gemacht, dafs nunmehr die rechtliche Natur der Fahnenflucht anders aufgefafst wird. Während

1 Vgl. z. B. Grofsherzoglich hessisches Regierungsblatt 1858 S. 381 Art. 67 des Militärstrafgesetzes vom 25. August 1858, Reichsgesetzblatt für das Kaisertum Österreich 1855 S. 65 § 136 (Militärstrafgesetz vom 15. Januar 1855).

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