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VI. Was ist Auswanderung?

a) Mag man den als Auswanderer bezeichnen, wie es in der österreichischen Gesetzgebung1 geschehen ist, welcher sich in einen auswärtigen Staat begibt mit dem Vorsatz, nicht wieder zurückzukehren, oder mag man unter Auswanderung, wie es von Martitz will, die Entfernung aus dem Staatsgebiete ohne die bestimmte Absicht, wieder dahin zurückzukehren, verstehen, in beiden Fällen gilt das Verlassen des Staatsgebiets, dessen Staatsangehörigkeit man besitzt, als Begriffsmerkmal. Zweifelhaft ist also nach herrschender Ansicht allein der subjektive Tatbestand. Aber diesem wird weder die Annahme eines animus non revertendi, noch die Feststellung gerecht, ein bestimmter animus revertendi liege nicht vor. Denn beides trifft zu. Jede dieser beiden Beschreibungen des subjektiven Tatbestandes hebt eine Seite desselben hervor, und es fragt sich, worin die Vereinigung gelegen ist. Jene bestimmte und diese unbestimmte Absicht haben juristisch-logisch ein formales Moment gemeinsam: An beider Fortbestand über eine bestimmte Frist ist der Verlust der Staatsangehörigkeit geknüpft; und in beiden Absichten offenbart sich der Wille, die Staatsangehörigkeit aufzugeben, oder in Annäherung an von Martitz, offenbart sich nicht der Wille, die Staatsangehörigkeit aufrecht zu erhalten. Wer den Willen hat, das staatsbürgerliche Verhältnis des Heimatstaates aufrecht zu erhalten, sich etwa im auswärtigen Staate in die deutschen Konsulatsmatrikel eintragen lässt, ist nicht ausgewandert, als er sich aus dem Heimatsstaate in den auswärtigen begab, mag er immer eine jener Absichten gehabt bezw. nicht gehabt haben. Auswanderer ist nur, wer jenen Willen nicht hat, und auch der, welcher

1 Protokoll der Deutschen Bundesversammlung 1858, S. 761. § 1 des Auswanderungspatents vom 24. März 1832; vgl. Vesque von Puttlingen S. 112, und Hamburger Sammlung S. 147.

2 In den Annalen S. 1148. Übereinstimmend mit von Martitz Stoerk in Holtzendorffs Handbuch, Bd. II S. 597.

nach dem Verlassen des Staatsgebietes den Willensentschlufs fafst, seine Staatsangehörigkeit aufzugeben. Und sehr wohl kann der eine wie der andere Auswanderer die bestimmte Absicht haben, nach Eintritt der von ihm beabsichtigten Rechtswirkungen, nach Verlust der alten und nach Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit als Fremder in seine frühere Heimat zurückzukehren. Für die Bestimmung des subjektiven Tatbestandes erheblich ist allein, inwieweit durch sein Handeln und Unterlassen auf den Verlust der Staatsangehörigkeit hingewirkt wird. Auswanderer ist nach geltendem deutschem Staatsrechte1 der, welcher sich im Auslande aufhält und während seines zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalts im Auslande die staatsbürgerlichen Rechte seines Heimatsstaates als fortbestehend nicht geltend macht und die staatsbürgerlichen Pflichten als fortbestehend nicht erfüllt, so dafs schliefslich nach zehnjähriger Abwesenheit die deutsche Staatsangehörigkeit verloren geht 2 3.

b) Gegen eine solche Definition können von dem

1 Einen allgemeinen, allen Rechtsordnungen gleichen Begriff der Auswanderung gibt es nicht. Die meisten Definitionen leiden an dem Fehler der naturrechtlichen Methode, dafs sie nicht eine bestimmte Rechtsordnung zugrunde legen, sondern meist die politisch ökonomische Erscheinung psychologisch analysieren.

2 von Bar, Theorie und Praxis, Bd. I S. 194 Anm. 1 meint wohl dasselbe, seine Formulierung ist aber unrichtig. Eine „faktische Lösung" des Rechtsverhältnisses der Staatsangehörigkeit gibt es nicht, sondern nur die Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen, an welche das Gesetz die Lösung der Staatsangehörigkeit als Rechtsfolge knüpft. Das Aufgeben des bisherigen Wohnsitzes im Vaterlande läfst dem Gedanken Raum, dafs im Vaterlande ein anderer Wohnsitz genommen werden könnte, und das Charakteristische ist nach dem Gesetze nicht das Aufgeben des Wohnsitzes, sondern der ununterbrochene Aufenthalt im Auslande, der freilich jenes Aufgeben logisch in sich schliefst. Vgl. Cahns Ausdruck: „rechtlich perfekte Auswanderung" S. 179 in Anm. e S. 178.

3 Vgl. R.G.E. str. Bd. 36 S. 245; Krieg S. 13; von Battaglia S. 14 Anm. 2 u. S. 16 schwankt; Rivier, Principes, Bd. I S. 269; von Martens-Bergbohm Bd. II S. 173; Laurent Bd III S. 366; Hamburger Sammlung S. 373 Nr. 8, 482—484, 574 f. (§ 18), 606.

gegnerischen Standpunkte aus zwei Bedenken geltend gemacht werden: Einmal werde in ihr der Unterschied von Auswanderung und Expatriation verwischt, alsdann aber entstehe durch sie Ungewissheit, wann die Auswanderung eintrete, und ob bezw. wodurch sie unterbrochen werden könne. Was den letzteren Gesichtspunkt anbelangt, so scheint die hier bekämpfte Definition zu ergeben, und es ist auch wohl herrschende Ansicht, dafs für den objektiven und subjektiven Tatbestand allein der Augenblick des Verlassens des Staatsgebietes entscheidend sei. Alles, was vor diesem Augenblick liegt, sei vor der Auswanderung begangen, wenn das Staatsgebiet in der Tat in einer der bezeichneten Absichten verlassen worden ist. Dies kann von vornherein bei einem Kinde gar nicht zutreffen. Der einjährige Knabe eines auswandernden Deutschen oder gar der in den Vereinigten Staaten von Amerika geborene Knabe eines Deutschen, sie haben keine Absichten der Nichtrückkehr, noch auch läfst sich von ihnen sagen, dafs sie ohne eine bestimmte Absicht der Rückkehr sind, da sie überhaupt noch keine Absichten haben. Bei dem in den Vereinigten Staaten geborenen und bis zur Militärpflichtigkeit aufhältlichen Deutschen fehlt es zudem noch an dem für die Auswanderung erforderlichen Verlassen des Staatsgebiets. Bei ihnen würde also eine Auswanderung nach der Definition der Gegner niemals vorliegen, daher wäre eine Feststellung, dafs eine Wehrpflichtverletzung nicht vor der Auswanderung begangen sei, unmöglich. Sie würden bei ihrer Rückkehr schliefslich bestraft werden können mangels der Unmöglichkeit einer solchen Feststellung, wenn auch im übrigen die Voraussetzungen des Artikels II vorliegen, und zwar auf Grund der zweiten Alternative des § 140 Ziffer 1 Str.G.B. Entsprechendes würde für die Fahnenflucht gelten, wenn etwa im Auslande die Gestellung und Aushebung erfolgt

1 Vgl. Pradier-Fodéré Bd. I S. 402, und Davis S. 143; Piédelièvre Bd. I S. 183 § 213.

ist. Auf der andern Seite gibt es nach jenen Definitionen keine Unterbrechung der Auswanderung: Mag jemand in einer jener Absichten Deutschland verlassen, im übrigen aber im Auslande den Schutz des Deutschen Reiches als deutscher Staatsangehöriger im weitesten Mafse in Anspruch nehmen, eine Unterbrechung der Auswanderung und die damit zusammenhängende Unanwendbarkeit des Art. II würde niemals in Frage kommen können. Denn ein Schlufs von einer derartigen Inanspruchnahme auf das Nichtvorliegen der erforderlichen Absicht beim Verlassen des Staatsgebietes ist nicht zwingend, weil aus der Inanspruchnahme in Verbindung mit dem Verlassen des Staatsgebietes gerade und recht häufig folgt, dafs der Auswandernde wohl die Rechte geniefsen, aber nicht die Pflichten tragen will und ihm jene erforderliche Absicht in hohem Mafse innegewohnt hat und ihn noch beherrscht.

Auf der andern Seite ist aber auch ein Verlassen des Staatsgebietes in einer jener Absichten für den Begriff der Auswanderung nicht wesentlich, sondern es genügt der Aufenthalt in der Fremde nach dem Verlassen der Heimat ohne eine jener Absichten. Jemand kann sich sehr wohl nach den Vereinigten Staaten begeben mit dem Willen, zurückzukehren, tut es aber demnächst nicht, fasst vielmehr nach Verlassen des Staatsgebietes den Entschlufs, nicht zurückzukehren, sondern in dem fremden Staate sich dauernd niederzulassen und hier die Staatsangehörigkeit zu erwerben, die frühere aber aufzugeben. Erreicht er inzwischen das militärpflichtige Alter, so fällt die Wehrpflichtverletzung mit jener Entschliefsung zusammen oder regelmäfsig diese Entschliefsung mit der Absicht, sich dem Eintritt in den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte zu entziehen. Die Auswanderung datiert also von der Entschliefsung, nicht von dem Verlassen des Staatsgebietes 1.

c) Wenn aber dann die betreffende Person im Aus

1 Übereinstimmend das preussische Ober-Tribunal in den S. 11 Anm. 1 zitierten Erkenntnissen.

lande als Deutscher auftritt und staatsbürgerliche Rechte geltend macht oder Pflichten anerkennt oder auch deutsches Staatsgebiet wieder betritt (z. B. die Schutzgebiete) und hier deutschen Behörden gegenüber als Deutscher auftritt, so fällt durch eine solche Handlungsweise nicht etwa der erforderliche fünfjährige ununterbrochene Aufenthalt in den Vereinigten Staaten hinweg. Denn eine kurze, vorübergehende Unterbrechung des Aufenthalts hebt die auf die Dauer und den schliefslichen Erwerb des Staatsbürgerrechts gerichtete und betätigte Beziehung zu dem neuen Staate nicht auf. Wohl aber wird, was bisher nicht recht bemerkt worden ist, der Zustand aufgehoben, der durch. die Auswanderung geschaffen wurde, ein Wille betätigt, den ein Auswanderer nicht hat und nicht haben kann, ein Rechtsverhältnis als fortbestehend behandelt und anerkannt, dessen Fortbestand durch die Auswanderung negiert wird und werden soll. Ist bis zu einer solchen Handlungsweise die Naturalisation noch nicht erfolgt und ein ununterbrochener Aufenthalt von fünf Jahren noch nicht vollendet, so ist in ihr eine erneute Anerkennung des staatsbürgerlichen Rechtsverhältnisses mit seinen Rechten, aber auch mit seinen Pflichten gelegen und der Wille widerrufen, der durch die Auswanderung betätigt wurde, die Auswanderung ist unterbrochen und beginnt eventuell von neuem. Damit zugleich aber beginnt auch eine neue Frist für die fünf Jahre ununterbrochenen Aufenthalts und für die Naturalisation innerhalb dieses Zeitraums. Denn das ist der Sinn der Vorschrift des Artikels II, dafs mit der Auswanderung das alte staatsbürgerliche Rechtsverhältnis aufgehoben, ein neues in den Vereinigten Staaten begründet werden soll, und dafs der Auswanderung ein fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt in den Vereinigten Staaten und die Naturalisation folgt, ohne dafs in dieser Zwischenzeit der Auswanderer als Deutscher vom Deutschen Reiche irgend welche staatsbürgerlichen Rechte in Anspruch nimmt. Denn

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