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Erstes Kapitel.

Die Straffreiheit von Wehrpflichtverletzung, Auswanderung, unerlaubter Entfernung und insbesondere von Fahnenflucht.

Eine praktische, in der Literatur bestrittene Frage liegt den folgenden Untersuchungen zu grunde: Wie lange kann ein Deutscher wegen Fahnenflucht und wegen Verletzung der Wehrpflicht zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden, oder wann kann dies nicht mehr geschehen, wenn er nach der Begehung eines dieser Delikte durch Auswanderung, insbesondere nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, naturalisiert wird und alsdann in die Heimat zurückkehrt? Und umgekehrt, wie lange bezw. wann nicht mehr bei entsprechenden Voraussetzungen ein Nordamerikaner?

§ 1. Bei Auswanderung von Deutschland nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

I. Die vertragsgesetzlichen Grundlagen nach ihrem Wortlaut und Inhalt.

a) Die sedes materiae unserer Frage sind, aufser den allgemeinen Vorschriften des Str.G.B. und den besonderen Bestimmungen des M.Str.G.B. über die Verjährung, die Verträge, welche im Jahre 1868 die Vereinigten Staaten von Nordamerika einerseits mit dem Norddeutschen Bunde am 22. Februar, mit Bayern am 26. Mai, Baden am

19. Juli, Württemberg am 27. Juli, Hessen am 1. August anderseits abgeschlossen haben1. Die Entstehungsgeschichte dieser Verträge haben von Martitz und Kapp unter Benutzung umfangreichen Materials zur Darstellung gebracht. Sie findet sich auch in manchen Kompendien a des Völkerrechts kurz wiedergegeben. Daher erübrigt es sich, an dieser Stelle näher darauf einzugehen. Ich beschränke mich auf eine vorwiegend dogmatische Betrachtung der strafrechtlichen Geltung und Anwendbarkeit der bezeichneten Verträge in den deutschen Bundesstaaten und habe diese daher zunächst in strafrechtlicher und dann aber auch in staats- und völkerrechtlicher Beziehung zu untersuchen.

Ich gebe zunächst den hier interessierenden Artikel II jener Verträge wieder, insoweit sie alle übereinstimmen. Er lautet:

Ein naturalisierter Angehöriger des einen Teiles soll bei etwaiger Rückkehr in das Gebiet des anderen Teiles wegen einer nach den dortigen Gesetzen mit Strafe bedrohten Handlung, welche er vor seiner Auswanderung verübt hat, zur Untersuchung und Strafe gezogen werden können, sofern nicht nach den bezüglichen Gesetzen seines ursprünglichen Vaterlandes Verjährung eingetreten ist.

1 Siehe Anlage I, 1-2.
2 In Annalen 1875.

A naturalized citizen of the one party on return to the territory of the other party, remains liable to trial and punishment for an action by the laws of his original country and committed before his emigration, saving always the limitation established by the laws of his original country.

Hall S.

S.

233 f.; Lawrence- Wheaton 64 f.; auch bei Sieber S. 57 f.

3 Taylor S. 225 f.; Bd. III S. 248 f.; Calvo Bd. II

u. a.

b) Die Militärgesetze des Deutschen Reiches1 sowie Cahn erwecken in ihren Abdrücken der sogenannten Bancroftverträge den Anschein, als ob in allen fünf Verträgen der Artikel II völlig gleich laute, und als ob der Artikel II des einen Vertrags doch nur in ganz unerheblichen Punkten von dem des andern Vertrages abweiche; insbesondere unterlässt es das erstgenannte Werk, die zum Verständnis wesentlichen Teile der Protokolle einiger Verträge wiederzugeben. Nun hat aber der Artikel II des Vertrages mit Baden noch folgende weiteren Absätze:

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„Namentlich soll ein nach Artikel I als amerikanischer Staatsbürger zu erachtender früherer Badener nach den badischen Gesetzen wegen Nichterfüllung der Wehrpflicht zur Untersuchung und Strafe gezogen werden können,

1. wenn er ausgewandert ist, nachdem er bei der Aushebung der wehrpflichtigen Korps als Rekrut zum Dienste im stehenden Heere herangezogen war; 2. wenn er ausgewandert ist, während er im Dienste bei der Fahne stand oder nur auf bestimmte Zeit beurlaubt war;

3. wenn er als auf bestimmte Zeit Beurlaubter oder als Reservist oder als Landwehrmann ausgewandert ist, nachdem bereits eine öffentliche Aufforderung zur Stellung erlassen oder der Krieg ausgebrochen war. Dagegen soll ein in den Vereinigten Staaten naturalisierter früherer Badener, welcher sich bei oder nach seiner Auswanderung durch andere als die in Ziffer 1-3 bezeichneten Handlungen oder Unterlassungen gegen die gesetzlichen Bestimmungen über die Wehrpflicht vergangen hat, bei seiner Rückkehr in sein ursprüngliches Vaterland weder nachträglich zum Kriegsdienst noch wegen Nichterfüllung

1 S. 148 f.

2 Zu Absatz 3 von § 21 S. 178 f.

3 Siehe Anlage I, 4.

Schon Koller (Bd. II S. 611) hat auf die Abweichungen des badischen Vertrages hingewiesen.

seiner Wehrpflicht zur Untersuchung und Strafe gezogen werden.

Auch soll der Beschlag, welcher in andern als den in Ziffer 1-3 bezeichneten Fällen wegen Nichterfüllung der Pflicht auf das Vermögen eines Ausgewanderten gelegt wurde, aufgehoben werden, sobald derselbe die nach Artikel I vollzogene Naturalisation in den Vereinigten Staaten nachweist."

c) Diese Besonderheiten des badischen Vertrages finden sich mit geringen, offenbar aus der verschiedenen Militärverfassung zu erklärenden Abweichungen in den Verträgen mit Württemberg und mit Hessen, hier aber nicht im Vertrage selbst, sondern in den ihren Sinn und Zweck interpretierenden Protokollen dazu. Macht die Stellung jener besonderen Vorschriften einmal im Vertrag selbst und dann wieder in den Protokollen rechtlich einen Unterschied? Gelten diese Besonderheiten auch für die Verträge mit dem Norddeutschen Bunde und mit Bayern, wenngleich sie in ihnen überhaupt keine Aufnahme gefunden haben? Anders ausgedrückt: Fällt die Fahnenflucht nicht unter die Bestimmungen der beiden letztbezeichneten Verträge? Und hat bei ihnen die Aufhebung der etwa verhängten Vermögensbeschlagnahme nicht zu erfolgen? Logisch ist eine doppelte Beantwortung möglich: Man kann entweder jene Besonderheiten als speziell statuierte Ausnahme von der allgemeinen Regel des Absatz 1 Artikel II oder aber als die nähere Interpretation seines Sinnes ansehen. Der juristisch am meisten durchgearbeitete 2 badische Vertrag begründet die erstere Ansicht, insofern er ausdrücklich die Sonder bestimmungen als Ausnahme von der allgemeinen Regel in den Vertrag mit aufnimmt; die beiden Verträge mit Hessen und Württemberg lassen den zweiten Standpunkt begründet erscheinen, da sie die Sonder

1 Vgl. den in der Anlage VII wiedergegebenen, fast wörtlich übereinstimmenden österreichischen Vertrag.

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