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vischem Sinne das Entferntbleiben, den Zustand des Entferntseins, dies ist der Sinn der zweiten und dritten Alternative des § 64. Wird also die Entfernung nach geltendem Rechte in dem doppelten Sinne angewandt, so hängt es vom Einzelfalle ab, ob die eine oder andere Bedeutung in Frage steht. Was aber insbesondere noch die transitive Wendung der ersten Alternative des § 64 anlangt, so erinnert sie ihrer Fassung nach an den oben erörterten § 91 des Strafgesetzbuches für das preufsische Heer und weicht auch viel weniger, als es äufserlich den Anschein hatte, von seinem Inhalt ab. Dies zeigt sich, wenn man sich klar macht, dafs die drei Alternativen des § 64 nur eine genauere Analyse des „wer sich entzieht" des alten § 91 enthalten, und dafs das inkorrekte und unscharfe durch Entweichen“ einmal in jenen drei Alternativen näher bestimmt wird, und dann der Absicht, sich seiner gesetzlichen oder übernommenen Verpflichtung zum Dienste dauernd zu entziehen, in § 69 Platz gemacht hat. Die Feststellung der Absicht dauernder Entziehung aber ist, aufser dem Fall des Geständnisses und andern exzeptionell gelegenen Fällen, nur möglich, wenn ein solcher Zustand tatsächlich einmal hergestellt war, und wenn der Täter das nachweisbare Bewusstsein dieses Erfolges gehabt hat. Diese beiden Erfordernisse sind im Regelfalle zweifelsfrei nur aus dem Verlassen des Bundesgebietes zu folgern', das zugleich ohne den bestimmten Willen erfolgte, wieder zurückzukehren, oder mit dem bestimmten Willen, nicht zurückzukehren, d. h. zwecks Auswanderung. Hierfür spricht aufser dem Angeführten das vielfach verkannte rechtliche Wesen der Fahnenflucht und der Auswanderung.

V. Rechtliches Wesen der Fahnenflucht mit Beziehung zur Auswanderung auf Grund von § 69 M.St.G.B. a) Die herrschende Ansicht von der Fahnenflucht unter dem hier allein interessierenden Gesichtspunkte ist, dafs sie

1 Vgl. R.M.G.E. Bd. 5 S. 82.

vor der Auswanderung vollendet sei und weder durch die Auswanderung noch gar nach der Auswanderung begangen werden könne. Die Verschiedenheiten der in § 64 der M.Str.G.B. statuierten Alternativen der unerlaubten Entfernung werden nicht berücksichtigt, noch auch die Verschiedenheiten in der Natur des Militärverhältnisses der desertierenden Personen. Und doch folgen aus diesen Verschiedenheiten ganz merkwürdig andere Ergebnisse, wenn man sie immer unter dem Gesichtswinkel betrachtet, worin die Unterschiede von der Wehrpflichtverletzung bestehen, und in welchem Zeitpunkte das spezifische Merkmal der Fahnenflucht, die Absicht dauernder Dienstentziehung, entstanden ist, insbesondere ob vor, zusammen mit oder nach der Auswanderung. Unter Auswanderung mag vor der Hand mit der herrschenden Ansicht das Verlassen des Staatsgebietes, in der Absicht, nicht zurückzukehren, oder ohne die Absicht, zurückzukehren, verstanden werden.

b) Unzweifelhaft gibt es eine Fahnenflucht, deren sich eine Militärperson vor der Auswanderung schuldig machen kann. Ebenso unbestreitbar ist es, dafs eine Wehrpflichtverletzung im Sinne von § 140, Ziffer 1 Str.G.B. vor der Auswanderung begangen werden kann. Zu Unrecht hält man allgemein das Gegenteil für selbstverständlich. Zu Unrecht hat man aus der Annahme dieser Selbstverständlichkeit heraus dem Artikel II der Bancroftverträge seine unglückliche Fassung gegeben. Schon die Formulierung (,,Bundesgebiet verlassen", sich aufserhalb des Bundesgebiets aufhalten" im Gegensatz zu Auswandern in Ziffer 2 und 3 von § 140 Str. G.B.) ergibt die hier vertretene Ansicht. Die Absicht der Nichtrückkehr oder die unbestimmte Absicht der Rückkehr kann auch nach dem strafbaren Verlassen des Bundesgebiets auftreten. Beispiele liegen mit Rücksicht auf die sujets mixtes, wie überhaupt auf die

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1 Vgl. Die Verteidigung von von Bar in Theorie und Praxis usw., Bd. I Anm. 15 S. 26.

Personen, deren Staatsangehörigkeit zweifelhaft ist, nahe. Der Deutsche A wird in jungen Jahren durch Naturalisation seiner Eltern Engländer. A befindet sich zur Zeit seines militärpflichtigen Alters schon längere Zeit zu dauerndem Aufenthalt in Deutschland und wird aufgefordert, seiner Wehrpflicht zu genügen. Er macht seine englische Staatsangehörigkeit geltend, wartet aber eine Entscheidung der Behörde nicht ab, sondern verlässt Deutschland, in der Absicht, sich eventuell seiner Wehrpflicht zu entziehen, oder in dem Glauben, er werde als Engländer nicht zu dienen brauchen und könne daher demnächst, wenn die Entscheidung in seinem Sinne gefallen, zurückkehren. A hat also die Absicht der Rückkehr, kehrt schliefslich zurück, ohne die Entscheidung abzuwarten, oder weil sie ihn nicht erreicht hat, in der Annahme, seine Rechtsansicht sei die richtige. Jetzt erfährt er die wahre Rechtslage und wandert nunmehr aus. Schon das erste Verlassen des Bundesgebiets enthielt eine Verletzung der Wehrpflicht, aber sie geschah ohne die Auswanderungsabsicht, also vor der Auswanderung. Beim zweiten Verlassen lag eine solche Absicht und damit auch eine Auswanderung vor. A hat also durch zwei real konkurrierende Handlungen (eventualissime durch eine fortgesetzte Handlung) einmal vor der Auswanderung und das andere Mal durch sie die Wehrpflichtverletzung begangen.

Freilich ein erheblicher Unterschied zwischen Fahnenflucht und Wehrpflichtverletzung springt in die Augen: Wesentliches Merkmal der letzteren ist das Verlassen des Bundesgebiets, was bei der ersteren nicht unbedingt erforderlich ist. Wenn der Soldat B seine Truppe verlässt, in der Absicht, sich dem Dienste in ihr dauernd zu ent

1 Der Erwerb des englischen Staatsbürgerrechts läfst auch die etwaigen Ansprüche des Heimatsstaates an den Naturalisierten unberührt, ja das englische Staatsrecht erkennt jene Ansprüche in gewissem Sinne ausdrücklich an § 7 des britischen Naturalisationsgesetzes von 1870 (33 Vict. C. 14), vgl. Halleck, Intern. Law, Bd. I S. 385; siehe jetzt auch Hatschek, S. 216 ff., und Hamburger Sammlung, S. 91.

ziehen, also mit dem bestimmten Willen, nicht zu ihr zurückzukehren, so ist er fahnenflüchtig, mag er sich hinbegeben und aufhalten, wo er will. Verläfst er das Bundesgebiet nicht, so besteht kein Zweifel, dafs die Fahnenflucht vor der Auswanderung begangen ist. Verläfst er aber das Bundesgebiet und hat von vornherein einen entsprechenden Willen und dieser Fall allein interessiert hier

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so ist

das Sichentfernen" bis zur Grenze immer nur eine Vorbereitungshandlung für die dauernde Entziehung und kann auch als nichts anderes gewollt werden. Die Absicht, sich dauernd der Truppe zu entziehen, ist in diesem Falle gewissermassen bedingt durch den Erfolg der unerlaubten Entfernung, durch die Herbeiführung der dauernden Entziehung. B entfernt sich eigenmächtig von der Truppe in der Absicht, im Augenblick der Grenzüberschreitung, d. i. des Beginns der dauernden Entziehung, die entsprechende Absicht zu fassen. Wohl kann man die Absicht, einen dauernden Zustand herbeizuführen, schon vor seiner Verwirklichung haben, aber niemals kann man die Absicht, den dauernden Zustand nach seiner Verwirklichung aufrecht zu erhalten, schon vor seiner Verwirklichung haben. Beide Absichten können nicht zu gleicher Zeit gegeben sein, sie können nur historisch aufeinander folgen. Verläfst B die Truppe, um Fahnenflucht zu begehen, so hat er beim Verlassen die Absicht, seine dauernde Entziehung vom Dienste herbeizuführen und -wenn überhaupt, die unbestimmte, noch gar nicht in seinen Willen getretene Vorstellung, den zu verwirklichenden rechtswidrigen Zustand dauernder Entziehung nach der Verwirklichung aufrecht zu erhalten. Die auf das letztere gerichtete Absicht kann frühestens erst mit dem Zustand entstehen.

Das Gesetz (§ 69 M.Str.G.B.) verlangt aber zur Vollendung des Deliktes der Fahnenflucht mit der Absicht, sich seinem Dienste künftig dauernd zu entziehen, zu

1 R.M.G.E. Bd. IV S. 202 hebt mit Recht hervor, dafs im Gesetz von seiner Dienstpflicht, nicht von der Dienstpflicht gesprochen werde,

gleich auch die Absicht, den rechtswidrigen Zustand der Entziehung als einen dauernden aufrecht zu erhalten. Die eine Absicht ist ohne die andere nicht denkbar. Die letztere Absicht kann aber schlechterdings erst dann vorliegen, wenn nach der eigenmächtigen Entfernung einmal ein Zustand eingetreten ist, in welchem die Entziehung als dauernd objektiv anzusehen ist oder wenigstens doch subjektiv angesehen worden ist. Diese Absicht entsteht aber in unserm Falle erst mit der durch das Verlassen des Bundesgebiets in Auswanderungsabsicht gegebenen Sicherheit vor der Heranziehung zum Dienste. Diese Interpretation des Gesetzes folgt ohne weiteres aus dem Worte „dauernd" in Verbindung mit der dargelegten Doppelbedeutung des Begriffs der unerlaubten Entfernung und findet ihre weitere Begründung insbesondere in den beiden noch nicht erörterten Alternativen des § 64 des M.St.G.B. 1.

c) Leutnant C ist zu einer militärischen Abordnung in das Ausland kommandiert. Er verläfst mit ihr zusammen das Deutsche Reich von vornherein in der Absicht, nicht zurückzukehren. Bei der Rückkehr der Abordnung ist er verschwunden. Er bleibt vorsätzlich seiner Truppe fern in der Absicht, sich seinem Dienste dauernd zu entziehen und zwar nach der Auswanderung. Oder aber er entschliefst sich, nicht zurückzukehren, erst in dem Augenblick, wo er zur Rückkehr aufgefordert wird. Alsdann fällt die Fahnenflucht zeitlich mit der Auswanderung zusammen. Entsprechende

und meint im Anschlufs daran, Zweck und Sinn des Gesetzes gehe dahin, den vollen Mannschaftsbestand jedes Truppen- bezw. Marineteiles bezw. Schiffes sicherzustellen. So schön der Gedanke ist, er gibt doch nur die causa remota an. Die causa proxima der Strafdrohung aber liegt in der Verletzung der durch Gesetz auferlegten staatsbürgerlichen Pflicht. Andernfalls fiele ja der vom Reichsmilitärgericht angegebene Zweck hinweg, oder es würde mit ihm sich vereinigen lassen, wenn der Deserteur rechtzeitig einen Ersatzmann stellte, wie das früher wohl statthaft war.

1 Die weitere psychologische und tatsächliche Begründung findet man bei Stier S. 89: „Wir haben gefunden, dafs bei einem unverhältnismäfsig grofsen Teil der fortlaufenden Soldaten ursprünglich und beim Beginn der Tat nicht die Absicht besteht, sich dauernd der Dienstpflicht zu entziehen..."

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