Imagini ale paginilor
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geführt wird, und insbesondere auch dann, wenn bei der Fahnenflucht gleich dieses Ziel ins Auge gefafst worden ist, entspringt die Tat einem bewussten und bestimmten politischen Motive, einer innerlichen Auflehnung und prinzipiellen Negation gegen die gesetzlich auferlegte, aber innerlich nicht anerkannte Dienstpflicht im stehenden Heere. Die Fahnenflucht natürlich nur die in Friedenszeiten ist gemeint wird zur Absage an das Vaterland. Das ist sicherlich gegen „die Disziplin und den guten Geist unserer Soldaten" (Stier S. 91) und gefährdet auch „den Mannschaftsbestand unseres Heeres" (siehe oben S. 30 Anm. 1), aber letzten Endes empfinden wir diese Loslösung des Individuums von dem Staate, dessen Herrschaft es unterworfen gewesen ist, nicht als eine Handlung, die aus ehrloser Gesinnung entspringt. Ist dieser Ablösungsprozess gar durch den Verlust unserer Staatsangehörigkeit und Erwerb einer anderen zum Abschlufs gelangt, so wird seine Handlungsweise gegen uns zur Pflicht gegen das neue Vaterland, und in diesem Konflikte müssen seine Pflichten gegen uns deshalb weichen, weil ihnen keine Rechte mehr gegenüberstehen.

2. Vor allem aber auch deshalb, weil er diese gesetzlich auferlegten Pflichten innerlich nicht mehr anerkennt, ja im Ingrimm als Unrecht empfindet. Ist ihm hierin Recht zu geben? Wenn man die Berechtigung des Individuums, sich von dem Staate seiner Geburt loszusagen, in bestimmten Grenzen anerkennt, wenn man es für eine Barbarei hält, diese rechtliche Loslösung ganz oder so gut wie ganz staatsund strafrechtlich zu verhindern und gleichsam wieder ein Eigentum des Staates an den Untertanen sogar noch nach Wegfall des Untertanenverhältnisses zur strafrechtlichen Geltung zu bringen, dann ganz gewifs, dann lässt es sich ganz gewifs nicht begründen, dafs die Unterlassung der Rückkehr in den Machtbereich der militärischen Vorgesetzten auch nach Verlust der die Pflicht allein begründenden Staatsangehörigkeit noch eine strafbare Handlung involviert, noch immer Fortdauer der vor langen Jahren wirklich be

gangenen Fahnenflucht sein soll. Wird aber von diesen demnächst noch zu erörternden Erwägungen über die Staatsangehörigkeit abgesehen, so läfst sich doch kriminal-psychologisch sagen: Der verbrecherische Vorsatz hat sich mit der erstmaligen Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale der Fahnenflucht, mag sich der Täter dabei nun ins Ausland begeben haben oder nicht, erschöpft in der Herbeiführung des dadurch geschaffenen rechtswidrigen Zustandes, der Wille des Fahnenflüchtigen umschliefst von vornherein auch die zur Aufrechterhaltung jenes Zustandes erforderlichen Unterlassungen; kehrt er zu seiner Pflicht zurück, so steht er subjektiv nicht etwa ab von weiteren strafbaren Unterlassungen, sondern ändert den ursprünglichen, auf die ganze Zeit seiner Verpflichtung gerichteten Vorsatz. Vergleiche mit anderen Delikten verdeutlichen, was hier gemeint ist.

3. Man kann die aktive Dienstpflicht nach Analogie der obligatorischen Verpflichtung zu bestimmten Handlungen im Privatrecht betrachten und sehe sich einmal die strafrechtliche Behandlung der letzteren Verpflichtung vom Standpunkt der hier de lege ferenda bekämpften Ansicht an. Wäre sie richtig, so ist die gesetzliche Regelung z. B. des Betruges völlig unbegründet: Der Betrüger schafft durch seinen Betrug einen rechtswidrigen Vermögenszustand. Subjektiv und objektiv ist das Delikt vollendet. Aber der rechtswidrige Zustand dauert fort, seine Verpflichtung, ihn wieder aufzuheben, ohne Schaden zu ersetzen, besteht fort. Wie ist es nur möglich, dafs die Verjährung der Strafverfolgung des Betruges trotz des Weiterbestandes jener rechtswidrigen Folgen bereits mit deren Verwirklichung beginnen kann? Allein etwa deshalb, weil es sich hier um eine privatrechtliche, dort um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Wiederherstellung des früheren Zustandes, soweit dies möglich ist, also das ist das gemeinschaftliche zur Aufgabe der rechtswidrigen Unterlassung handelt? Und sollte man nicht gerade umgekehrt sagen:

Wie beim Betruge die ordentlichen Gerichte, so müssen bei der Fahnenflucht andere als strafrechtliche, dem Staate zur Verfügung stehenden Mittel die Wiederherstellung des früheren Zustandes bezw. die Verwirklichung des Interesses ermöglichen, das über die Bestrafung und die Strafbarkeit des rechtswidrigen Tuns hinaus an einem Ausgleich für den Fortbestand des rechtswidrigen Zustandes besteht, nicht aber darf hier die Fiktion der Fortdauer einer strafbaren Handlung als Hilfsmittel dienen. Noch schärfer tritt die Richtigkeit der aufgestellten Erwägungen hervor, wenn man die Fahnenflucht mit einem wirklichen Dauerdelikt, mit der Freiheitsberaubung vergleicht. Dauert diese über Wochen oder Monate, so kann erst dann, wenn die eingesperrte Person die Freiheit wieder erlangt, das bereits mit der vorsätzlichen und widerrechtlichen Einsperrung vollendete dauernde Delikt als beendet gelten, erst dann kann seine Verjährung beginnen. Während der ganzen Zeit ist aber auch der Vorsatz auf die Aufrechterhaltung der Einsperrung gerichtet, und vor allem ist eben ein Mensch während der ganzen Zeit widerrechtlich durch den Täter eingesperrt und kann sich seiner rechtlich anerkannten Freiheit nicht bedienen. Bei der Fahnenflucht ist der Täter selbst, die Verletzung der ihm allein obliegenden Verpflichtung Gegenstand der strafbaren Handlung. Der staatliche Anspruch auf Dienstleistungen im Heere, das staatsbürgerliche Rechtsverhältnis wird gebrochen. Dieser Rechts- und Treubruch ist überhaupt irreparabel und hat dies zum Unterschiede von der Wiederherstellbarkeit der Schadenswirkungen des Betruges mit den Wirkungen der Freiheitsberaubung gemeinsam; aber er wiederholt, er betätigt sich nicht, der Fahnenflüchtige verwirklicht nicht aufs neue den rechtswidrigen Zustand nach seiner erstmaligen Verwirklichung in jedem Augenblicke seiner Fortdauer, wie dies entsprechend beim Vorsatz des Täters bei der fortdauernden Freiheitsberaubung und auch bei den sogenannten Zustandsdelikten im eigentlichen Sinne (z. B. der Doppelehe) der Fall ist.

Bei der Fahnenflucht ist also die Fortdauer der Strafbarkeit des einmal geschaffenen rechtswidrigen Zustandes eine Fiktion des Gesetzes, der verbrecherische Wille des Täters hat als solcher mit Vollendung aller Tatbestandsmerkmale des Delikts im strafrechtlichen Sinne seine volle Wirksamkeit erschöpfend entfaltet. Die Fortdauer des rechtswidrigen Zustandes gewährt ihm den Erfolg und Genufs seiner Tat. Und mag der verbrecherische Wille als solcher selbst auch in den Unterlassungen und in der Aufrechterhaltung des einmal verwirklichten Zustandes scheinbar fortwirken, nach einem zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Auslande wird er mit dem Verlust der eigentlich doch allein verpflichtenden deutschen Staatsangehörigkeit und sicher mit dem Erwerb einer anderen verloren gegangen sein, jedenfalls aber nicht auf Grund des objektiven Tatbestandes erschlossen werden dürfen oder gar müssen, wie das nach der vorherrschenden Ansicht und nach dem Wortlaut, nicht aber dem Sinne des Gesetzes erforderlich ist. Im Gegenteil sollte auch vom Standpunkte jener Ansicht aus die Fahnenflucht ihren strafbaren Charakter mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verlieren.

Fehlt es doch auch an jeder zureichenden Begründung, warum dies bei der Fahnenflucht nicht der Fall sein soll, wohl aber, wie allgemein anerkannt ist, bei der Wehrpflichtverletzung.

Die im Texte angestellten Erwägungen gelten auch analog gegen die Regelung der Strafverfolgungsverjährung in § 171 Abs. 3 Str.G.B. Hat der Bigamist seine beiden Ehefrauen oder umgekehrt die Bigamistin ihre beiden Ehemänner verlassen, und will es das Unglück, dafs die Verlassenen lange leben, und keiner auf den Gedanken kommt, die Auflösung oder Nichtigkeitserklärung der Ehe zu bewirken, so scheint es mir den Lebensverhältnissen nicht angemessen, dass die Strafverfolgung der vielleicht Jahrzehnte lang zurückliegenden Tat nur deshalb nicht zu verjähren beginnt, weil die Beteiligten nachlässig sind, und die juristische Konstruktion die Fortdauer eines objektiven rechtswidrigen Zustandes festzustellen in der Lage ist.

III. Die Vorschläge und Forderungen im einzelnen.

Bisher ist nur ausgeführt worden, warum die Verjährung der Strafverfolgung der hier interessierenden Delikte nicht auf Grund der juristischen Konstruktion als Dauerdelikte beginnen soll und darf. Wann sie aber beginnen, und ob insbesondere an die Stelle jener Konstruktion und ihrer weittragenden Wirkungen nicht andere Mafsregeln treten müssen, ist wohl angedeutet, aber nicht näher dargelegt worden.

a) Der Grundsatz ergibt sich jedenfalls ohne weiteres aus den vorstehenden Ausführungen: Mindestens und spätestens mufs die Verjährung der Strafverfolgung mit dem Zeitpunkte beginnen, wo sie beginnen würde, wenn der Täter seine Tat durch Auswanderung begangen und und durch seinen darauffolgenden ununterbrochenen Aufenthalt im Auslande den Verlust der Staatsangehörigkeit herbeigeführt hätte. Wird also das geltende Recht über den Verlust der Staatsangehörigkeit zugrunde gelegt, so muss die Verjährung der Strafverfolgung der hier in Frage stehenden Delikte spätestens mit dem Ablauf von zehn Jahren nach der erstmaligen Verwirklichung ihres Tatbestandes beginnen, falls sie nicht aus einem anderen Grunde früher beginnt. Und oben hatte sich bereits ein anderer Grundsatz herausgestellt: Die Strafverfolgungsverjährung darf ihrem Zeitraume nach nicht länger dauern, als die Strafvollstreckungsverjährung, und die erstere mufs bei den Delikten, wo ein Abwesenheitsverfahren zur Erledigung der Sache führt, spätestens dann beginnen, wenn und wann die Erledigung durch jenes Verfahren möglich gewesen wäre, insbesondere also, wenn Altersgenossen gleichen Jahrgangs zur rechtskräftigen Aburteilung gelangt sind, und der eine oder der andere durch Versehen der Behörden übersehen worden ist.

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