Imagini ale paginilor
PDF
ePub

49. Jahres, das ist noch eher als die Wehrpflichtverletzung. Der Grund dieses unbefriedigenden Ergebnisses liegt in der Konstruktion der Delikte als Dauerdelikte. Die Konstruktion ist theoretisch kaum anfechtbar, wenn

man das

Wesen der Delikte objektiv zu ergründen sucht, wenn man von der Gestellungs- bezw. aktiven Dienstpflicht ausgeht, welche durch sie verletzt werden: Alsdann dauert in der Tat objektiv die Verletzung solange, wie die Pflicht existiert, und fällt die Verletzung erst mit der Pflicht fort. Im letzten Grunde aber steckt hinter dieser Konstruktion noch ein Überbleibsel aus dem früheren Strafrechtssystem mit seinen Beweisvermutungen gegen den Angeklagten bezw. der ihm obliegenden Beweislast, auferlegt im Interesse der staatlichen Ordnung, unter Mifsachtung der Persönlichkeit. Aus dem objektiven Tatbestand wird auf den erforderlichen subjektiven Tatbestand geschlossen, oder dieser wird gar, wie im vorliegenden Falle, gesetzlich fingiert. Es gibt eine strafbare Verletzung der Gestellungs- und aktiven Dienstpflicht, auch über die Zeit hinaus, in welcher der Täter sich seiner „früheren strafbaren Handlung als solcher noch bewusst ist, geschweige denn, dass er den objektiven rechtswidrigen Zustand als solchen aufrecht erhalten will, und selbst über die Zeit hinaus, in welcher sich die verfolgenden Behörden für den verletzten staatlichen Anspruch als solchen noch interessieren. Jene objektive Theorie ist nur dann begründet, wenn sie im Täter den Willen feststellen kann, den einmal geschaffenen rechtswidrigen Zustand für die ganze Dauer seiner objektiven Rechtswidrigkeit, das ist des Bestehens der verletzten Pflicht aufrecht zu erhalten, nicht blofs in dem Sinne, dafs ein solcher Wille im Augenblick der Tat will richtiger sagen der erstmaligen Herbei

bürgerl. Str.G.B. ein Vergehen, das mit Gefängnis bestraft wird, gleichviel in welcher Höhe, und danach gilt Absatz 2 § 67 Str.G.B. Richtig dürfte aber wohl der im Text vertretene Standpunkt sein, dafs für militärische Verbrechen die Bestimmungen des Bürgerl. Str.G.B. über Verbrechen, also § 67 Abs. 1 entsprechende Anwendung finden.

führung des rechtswidrigen Zustandes, sondern auch während dessen ganzer Dauer bestanden hat und sich immer wieder neu erzeugt. Mit andern Worten die gesetzlich festgelegte Konstruktion der Wehrpflichtverletzung und Fahnenflucht als Dauerdelikte ist ohne die unmöglichste Fiktion nicht möglich und führt zu dem ganz unbefriedigenden Ergebnis, dafs sie den Täter für einen Zustand noch zur Verantwortung ziehen kann, welcher längst objektiv und subjektiv in Vergessenheit geraten ist. Und Winthrop hat mit seiner oben (S. 121) zitierten kritischen Bemerkung nicht so ganz Unrecht, wenn er auch der objektiven Theorie wohl nicht gerecht wird. Schliefslich verkennt die Konstruktion der Dauerdelikte die Natur der Strafe, welche nicht blofs die Herbeiführung eines verpönten Erfolges und eines unerlaubten Genusses bedroht, sondern auch den Willen, die Gesinnung, welche beides verwirklicht hat, und immer noch imstande ist, beides wiederum zu verwirklichen. Besteht aber gar keine Beziehung mehr zwischen dem subjektiven und objektiven Tatbestand eines Delikts, hat der Täter selbst nicht mehr das Bewusstsein, dass er einen rechtswidrigen Zustand aufrecht erhält, und ist der letztere selbst in verstaubten Akten begraben und so in Vergessenheit geraten, dann fehlt es an jeder Begründung für die Fiktion einer fortdauernden strafbaren Handlung.

Ist also bei der Aufstellung von strafrechtlichen Tatbeständen nicht blofs das zu schützende Interesse zu berücksichtigen, sondern auch die Willensverfassung der sie bedrohenden und verletzenden Täter, so lässt sich wohl mit Bestimmtheit sagen: Bei Wehrpflichtverletzung, unerlaubter Auswanderung, Fahnenflucht und den Übertretungen der Kontrollvorschriften beim militärischen Meldewesen 1 hält der verbrecherische Vorsatz der Täter sicherlich nicht die

1 §§ 31, 33 Abs. 1 R.M.G.; W.O. § 25 Z. 10 u. 11, § 26 Z. 4 u. 7 und § 36 Z. 4. Vgl. Erlafs des Königl. sächsischen Ministeriums vom 5. April 1900, der mit dem Erlafs des württembergischen Ministers des Innern vom 17. April 1900 übereinstimmt, bei Reger Bd. 20 S. 373 f.

ganze gesetzlich festgelegte Dauer des strafbaren Zustandes an. Damit erwächst aber strafrechtspolitisch die Aufgabe, zwischen dem objektiven und subjektiven Tatbestand gesetzlich einen Ausgleich zu finden, insbesondere den letzteren dem ersteren gegenüber mehr zu berücksichtigen, ohne die Schutzwürdigkeit der zu schützenden Staatsinteressen zu verletzen. Die bisherige gesetzliche Regelung hat, was den Charakter der bezeichneten Delikte als Dauerdelikte anlangt, im Grunde keine strafrechtliche, sondern letzten Endes zugleich polizeiliche Ziele verfolgt und sich zu deren Erreichung unrichtiger, nämlich strafrechtlicher Mittel bedient. Die Konstruktion des Dauerdelikts hat die Bedeutung einer Gestellungsmafsregel. Die Nichtgestellung wird zum Strafschärfungsgrund des Delikts, insofern dieses infolge der Gestellung fortdauert1. Darin liegt aber die gesetzlich als solche anerkannte bezw. die gesetzlich sonst verbotene Ungeheuerlichkeit, dafs der Täter, welcher sich nicht den verfolgenden Behörden ausliefert und nicht seine alsbaldige Bestrafung herbeiführt, sich in einer strafrechtlich schlechteren Position befindet, wie der, welcher dies tut; während es doch Sache dieser Behörden ist, den Täter sobald als möglich zur Verantwortung zu ziehen; dessen Lage kann aber doch dadurch nicht verschlechtert werden, dafs dies nicht gelingt oder durch seine Auswanderung unmöglich wird.

Der Charakter des Dauerdelikts hat aber ferner im Falle der Auswanderung des Täters die Natur einer modernen Verbannungsstrafe und enthält schliefslich eine Bewertung des Täters, die in der Aberkennung eines Teiles der bürgerlichen Ehrenrechte, nämlich der eigentlich politischen, auf das öffentliche Leben sich be

1 Auf den kleinen Unterschied zwischen Wehrpflichtverletzung und Fahnenflucht, dafs bei der ersteren das Delikt mit der blofsen Rückkehr, bei der letzteren erst mit dem Dienstantritt fortfällt, kommt es hier nicht besonders an, da bei unserm polizeilichen Melde- und Verfolgungswesen die Rückkehr in vielen Fällen der Gestellung gleichsteht.

ziehenden Ehrenrechte (§§ 33, 34 Ziffer 1, 3, 4, 35 Str.G.B.) ihren besten Ausdruck finden würde.

Mit dieser Charakterisierung ist bereits die Grundlage für die Vorschläge de lege ferenda gewonnen. Meines Erachtens lässt sich die bisherige Regelung der hier in Frage stehenden Delikte als Dauerdelikte nicht mehr aufrecht erhalten. Die Delikte müssen mit der Verwirklichung aller ihrer Tatbestandsmerkmale als vollendet, und von da an mufs die Strafverfolgung als verjährbar angesehen werden. Das allein entspricht dem subjektiven Tatbestande. Die Rücksicht auf den objektiven Tatbestand aber fordert eine besondere Regelung der Dauer der Verjährungsfrist und besondere Vorschriften über die staatsbürgerlichen Rechte der Täter nach ihrer Rückkehr auch im Falle der Strafverfolgungsverjährung. Die aufzustellenden Forderungen ergeben sich deutlicher, wenn zunächst die möglichen Einwendungen gegen das bisher Gesagte schärfer ins Auge gefafst werden. Was hier gefordert werde, könnte man entgegnen, die Verringerung oder gar Wegfall der Fortdauer des strafbaren Zustandes nach erstmaliger Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, werde ja z. T. durch das Abwesenheitsverfahren und dann im Falle der hier besonders interessierenden Auswanderung nach den in diesem Buche vertretenen Ansichten auch durch den Verlust der Staatsangehörigkeit nach zehnjähriger Abwesenheit bei Wehrpflichtverletzung und Fahnenflucht erreicht.

II. Die Einwendungen gegen unsere Kritik.

Diese Einwendungen begründen schliefslich gar nicht, was sie begründen sollen. Werden sie als richtig zugegeben, so kann man sich doch nicht auf Ausnahmen von der bestehenden Regel berufen, um die Richtigkeit der Regel zu beweisen und eine Neuregelung, für die wiederum die Ausnahmen gelten würden, abzulehnen. Doch sehen wir uns einmal die Ausnahmen etwas näher an, so liegt in ihnen immerhin ein Wegweiser nach dem Ziele, das wir suchen

und ein kritischer Mafsstab für das, was gefordert werden kann.

a) Was das Abwesenheitsverfahren anlangt, so führt es allerdings bei der Wehrpflichtverletzung (§ 140 Abs. 1 No. 1-3 Str.G.B.) und der unerlaubten Auswanderung (§ 360 No. 3 Str.G.B.) schliefslich zu einem vollständigen Abschlufs durch ein mit den gewöhnlichen Rechtsmitteln anfechtbares Urteil, sodafs nach Ablauf der Rechtsmittelfrist oder Verwerfung einer etwaigen Revision, das ist mit Rechtskraft des Urteils nicht mehr eine Verjährung der Strafverfolgung, sondern nur noch eine solche der Strafvollstreckung in Frage kommen kann. Ebenso können und werden wohl die Übertretungen der Melde oder Gestellungspflicht durch Strafverfügung gemäfs § 34 M.Str.G.O. regelmäfsig aus dem Stadium der Strafverfolgung in das der Strafvollstreckung übergeführt. Die Strafvollstreckung verjährt im ersteren Falle in fünf, im letzteren in zwei Jahren. Stellt man die Verjährungsfrist der Strafverfolgung gegenüber, so springt in die Augen, dass da gar kein verständiges und anerkennenswertes Verhältnis besteht. Die baldige Verurteilung wird zur Wohltat, die Saumseligkeit oder ein Versehen der Behörden nimmt einen bedenklichen, die Rechtssicherheit und das Vertrauen in eine verständige und gerechte Rechtspflege gefährdenden Charakter an. Gegen den Wehrpflichtigen, der das Glück hat, in seiner Abwesenheit alsbald verfolgt und bestraft zu werden, wird vielleicht die Verjährung der Strafvollstreckung ein oder zwei, wohl kaum dreimal unterbrochen werden. Gegen ihn kann unter Umständen in seinem 25. oder 30. oder 35. Lebensjahre, will sagen, 5, 10 oder höchstens wohl 15 Jahre nach Rechtskraft des Urteils die Strafvollstreckung verjährt sein, wenn er in frühen Jahren (vielleicht im 18. Jahre) ausgewandert und alsbald darauf verurteilt worden ist. Bei seiner straffreien Rückkehr kann er gar die Aufhebung der nach § 140 Abs. 3 Str.G.B. inzwischen etwa verhängte Vermögensbeschlagnahme verlangen. Hat aber der Täter das Unglück,

« ÎnapoiContinuă »