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Lothringen in völkerrechtlicher Beziehung genau so verhält wie Preufsen zu Helgoland.

Die Landesgesetzgebung Elsafs - Lothringens, welche durch den Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats und des Landesausschusses zustande kommt, macht, was hier zunächst allein interessiert, völkerrechtlich keinen Unterschied, weil eben unter diesem Gesichtspunkte Elsafs-Lothringen wie Helgoland allein als Gebietsteile des deutschen Reiches in Betracht kommen, und die Landesgesetzgebung ElsafsLothringens eine rein interne Angelegenheit des deutschen Reiches, eine merkwürdige Organisationsform dieses betreffenden Gebietsteiles ist. Aber selbst wenn man dieser rudimentären staatlichen Organisation1 erheblichere Bedeutung beimessen und Elsafs - Lothringen gar den süddeutschen Staaten völkerrechtlich gleichstellen wollte, auch dann ist der Vertrag vom 22. Februar 1868 wie in diesen so auch in Elsafs-Lothringen völkerrechtlich verbindlich.

b) Eine ganz andere Frage ist es, ob der Vertrag auch staatsrechtlich verbindlich ist, ob die völkerrechtliche Verpflichtung staatsrechtlich zur Ausführung gelangt ist. Das Auswärtige Amt stellt sich auf den Standpunkt, dafs dies nicht der Fall sei, weil der Vertrag ebenso wie die anderen vier bezw. fünf deutschen Bancroftverträge, nur auf dem Wege der Landesgesetzgebung wirksam werden könne. Dies sei nicht geschehen, und daher könne es ihn nicht in Anwendung bringen, und deshalb, das ist schliefslich die eigentliche Argumentation, sei er auch völkerrechtlich nicht verbindlich. In dieser Argumentation liegen zwei Schlufsfolgerungen verborgen. Einmal wird ohne weiteres von der staatsrechtlichen Unwirksamkeit auf die völkerrechtliche Unverbindlichkeit geschlossen. Und das ist offenbar unrichtig, weil es völkerrechtliche Verbindlichkeiten gibt, die staats

1 Vgl. die geistvollen Ausführungen Jellineks in „Das Recht des modernen Staates" Bd. I 1900 S. 598 f.

2 Vgl. von Martitz, Rechtshilfe, Bd. II S. 838 zu Nr. 4.

rechtlich niemals in Wirksamkeit getreten sind1. Dann aber wird die völkerrechtliche Verbindlichkeit unmittelbar davon abhängig gemacht, dafs der Vertrag im Wege der elsafs-lothringischen Landesgesetzgebung zur Einführung gelangt sei. Auch dieser Grund greift nicht durch, weil für die Einzelstaaten, wie für Elsafs-Lothringen schliefslich die reichsgesetzlichen Vorschriften verbindlich sind, welche im Reichsgesetzblatt ihre verfassungsmässige Publikation erfahren haben 2. Der Vertrag vom 22. Februar 1868 ist in dem Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes veröffentlicht. Dieses Bundesgesetzblatt steht im rechtlichen Sinne dem Reichsgesetzblatt gleich; nur die Bezeichnung ist verschieden. Die Vorschriften, welche durch Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt Gesetzeskraft erlangt haben, sind als verbindlich für das Reich bestehen geblieben, sofern sie durch spätere Veröffentlichungen im Reichsgesetzblatt nicht aufgehoben sind. Letzteres ist betreffend den Vertrag vom 22. Februar 1868 nicht der Fall. Und daher mufs er von allen Richtern, Verwaltungsbeamten und Staatsbürgern des ganzen Deutschen Reichs so angesehen und behandelt werden, als wenn er im Reichsgesetzblatt veröffentlicht und durch spätere Gesetzesblätter nicht berührt worden wäre, das heifst seine Vorschriften müssen als reichsgesetzliche angesehen und angewandt werden in dem Gebiete des früheren Norddeutschen Bundes, in Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Elsafs - Lothringen, Helgoland und den Schutzgebieten.

III. Die Stellung der Schutzgebiete.

Für die Schutzgebiete kann der Vertrag in einer doppelten Weise praktisch werden, einmal, insofern es eine Angehörigkeit der Schutzgebiete im rechtlichen Sinne nicht gibt, und die dort sich aufhaltenden Staats- und Reichsangehörigen

1 Vgl. Laband Bd. II S. 117; ganz anders Zorn, Staatsrecht, Bd. I S. 498.

2 Leoni a. a. O. S. 168 f.

3 Vgl. von Stengel, Rechtsverhältnisse, S. 57 ff.; Labands Bemerkungen über die Schutzgebietsangehörigkeit (Bd. I S. 126 Anm. 1 und

im Sinne des § 21 des Gesetzes vom 1. Juni 1870 nach dem § 9 Abs. 3 des Schutzgebietsgesetzes sich im Inlande befinden; und dann, insoweit § 9 Abs. 1 des bezeichneten 17. April 1886, 15. März 1888 Gesetzes vom eine unmittelbare Reichsangehörigkeit (ohne Staaatsangehörigkeit) eingeführt hat.

6. September 1900

Es kann nicht zweifelhaft sein, dafs auf die erstbezeichneten Personen und deren in den Schutzgebieten geborenen Kinder der Bancroftvertrag Anwendung findet, wenn sie nach den Vereinigten Staaten auswandern und dort naturalisiert werden, und zwar grade so, als wenn sie aus dem Reichsgebiete auswanderten. Das folgt ohne weiteres aus Absatz 3 § 9 1. c. Dagegen ist die Anwendbarkeit des Vertrags auf die Personen des Abs. 1 § 9 1. c. fraglich. Nimmt man mit der herrschenden, hier bekämpften Ansicht an, dafs Abs. 3 § 21 des Gesetzes vom 1. Juni 1870 durch die Bezugnahme auf den Vertrag dessen Bestimmungen sich sozusagen einverleibe, dann gilt der Vertrag nach Abs. 1 § 9 1. c. auch für diese unmittelbaren Reichsangehörigen. Ist diese Voraussetzung aber unrichtig, hält man aber trotzdem noch an der gesonderten Gültigkeit aller fünf deutschen Verträge fest, dann kann und muss man sich auf Artikel 3 Reichsverfassung stützen, um ihre Anwendbarkeit darzulegen. Dieser Artikel, der nach Abs. 2 § 9 1. c. für die unmittelbaren Reichsangehörigen des Abs. 1 § 9 l. c. gilt, bestimmt, dafs der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem anderen als Inländer zu behandeln ist, und zählt demgemäss die einzelnen Wirkungen des gemeinsamen Indigenats auf. Bei entsprechender Anwendung mufs auch der unmittelbare

Bd. II S. 279) sind widerspruchsvoll. Dagegen Stengel in Annalen 1895 S. 628 und vor allem Begründung zum Gesetzentwurf wegen Abänderung des Gesetzes betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete vom 17. April 1886 zu § 6 (Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichstags 7. Legislaturperiode II. Session 1887/88 III. Band Nr. 72 S. 392) abgedruckt bei Cahn S. 201 Anl. Nr. 2. Wohl gibt es nach der Verordnung vom 24. Oktober 1903 (D.K.G. Bd. 7 [1903] S. 227) eine hier nicht interessierende deutsch - ostafrikanische Landesangehörigkeit. Vgl. Fleischmann S. 470. Jedoch Hesse, Dissert., S. 46.

Reichsangehörige dem Inländer gleich behandelt werden, und daher wie für diesen so für jenen der Vertrag gelten, weil eben sonst jener ungünstigeren Regeln als dieser unterworfen wäre 1.

Enthält aber der Vertrag vom 22. Februar 1868 reichsgesetzliche Vorschriften, wie hier vertreten wird, so gilt er staatsrechtlich auch für die unmittelbaren Reichsangehörigen des Abs. 1 § 9 1. c., weil für sie eben die reichsgesetzlichen Vorschriften wie für alle anderen Reichsangehörigen gelten, zumal sie ja nach Artikel 3 Reichsverfassung jederzeit die Staatsangehörigkeit in einem deutschen Einzelstaate erlangen

könnten.

Damit tritt ein letzter Grund für die Anwendbarkeit des Vertrages auf Elsafs - Lothringen hervor. Die Unanwendbarkeit würde Artikel 3 R.V. verletzen. Für die Elsässer und Lothringer bestände, selbst wenn sie zunächst in Preufsen ihrer Militärpflicht genügen wollten, im Sinne von Artikel 3 R.V. kein gemeinsames Indigenat. Machten sie sich in Preufsen oder einem anderen Bundesstaate der Verletzung der Wehrpflicht oder der Fahnenflucht durch Auswanderung nach den Vereinigten Staaten schuldig, so müssen sie, auch ohne die Staatsangehörigkeit des Bundesstaates erworben zu haben, wie dessen Staatsangehörige schon um deswillen des Schutzes des Vertrages teilhaftig werden, weil jene Delikte Reichsangehörigkeit voraussetzen, und dieser Schutz nunmehr den Reichsangehörigen deckt, der rechtlich in der Lage ist oder gewesen ist, (Artikel 3 R.V.), die Einzelstaatsangehörigkeit zu erwerben.

1 Laband Bd. I S. 167 ff.; Haenel S. 587; Bock shammer S. 11. 2 Vgl. R. von Mohl S. 209: „Wie ist dies alles anders und besser als früher! Jetzt zum erstenmal seit der Zertrümmerung des deutschen Volkes im Mittelalter durch Städte, Autonomie, Feudalsysteme und Landeshoheit besteht der Begriff des deutschen Bürgers, dem als solchen bedeutende Rechte zustehen und das ganze weite Reichsgebiet von Rechts wegen offen steht." Sollte das wirklich rechtsirrtümlich und Illusion sein, wie nach der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zu den ElsafsLothringern angenommen werden müfste?

Fünftes Kapitel.

Kündigung des Vertrages vom 22. Februar 1868 und Abschlufs eines neuen Vertrages.

I. Gründe, weshalb bisher eine Revision des Vertrages nicht erfolgte.

Die verschiedenen Differenzen im diplomatischen Verkehr betreffend die Anwendung des Vertrages auf ElsafsLothringen, die merkwürdigen und unerwünschten praktischen Konsequenzen, welche die Annahme der gesonderten Gültigkeit der einzelnen deutschen Verträge je innerhalb der einzelnen vertragschliefsenden Staaten mit sich brachte, hat schon seit Anfang der 70er Jahre zu Bestrebungen zwecks Neuregelung durch Abschluss eines Vertrages für das ganze Deutsche Reich geführt. Diese Bestrebungen gingen von dem bei den Verträgen vorwiegend interessierten Teile, von den Vereinigten Staaten aus, mochten die Vertreter der letzteren es auch dem Auswärtigen Amte gegenüber nie wahr haben wollen, dafs die Verträge für das Deutsche Reich bezw. seine Einzelstaaten mehr Pflichten wie Rechte, für die Vereinigten Staaten praktisch überhaupt nur Rechte begründeten. Wenn die deutsche Regierung den immer wiederholten Anregungen der Vereinigten Staaten bisher nicht nachgab, so mag dies einmal an dem mangelnden Interesse an den Verträgen und ihrer lästigen Natur und an dem Grundsatz: quieta non movere liegen, ein Grundsatz, der für so viele überlieferten und überlebten Einrichtungen

Staats- u. völkerrechtl. Abhandl. V 1. Bendix.

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