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zu werden, weil der etwaige Anspruch, auch ohne dafs er geltend gemacht worden ist, als erfüllt angesehen werden mufs. Der Norddeutsche Bund ist der deutsche Einzelstaat, dem sich die süddeutschen Staaten ein- oder angegliedert haben. Die Konföderation ist dadurch zustande gekommen, dafs Verfassung und Rechtsordnung des Norddeutschen Bundes mit Ausschlufs bestimmter ausdrücklich hervorgehobener Vorschriften in den süddeutschen Staaten eingeführt wurden. Zu den nicht ausgenommenen Vorschriften gehört auch der Vertrag des Norddeutschen Bundes mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika vom 22. Februar 1868 mitsamt seinen gesetzlichen Grundlagen. Die gesetzlichen und Verfassungsgrundlagen dieses Vertrages sind durch die Gründung des Reichs nicht verändert, nämlich die Vorschriften der Wehrverfassung, des Strafund Militärstrafrechts wie des Staatsbürgerrechts, welche auf der Autorität der Staatsgewalt des Norddeutschen Bundes und seines Rechtsnachfolgers, des Deutschen Reiches beruhen. Und eine Anwendung des Vertrages vom 22. Februar 1868 auf die noch geltenden Bestimmungen des Norddeutschen. Bundes und die nunmehr in Geltung gekommenen Vorschriften des Deutschen Reiches innerhalb des ganzen Reichsgebietes steht nicht im Widerspruch mit den Grundlagen des Vertrages zur Zeit seines Abschlusses, da hier das Rechtssubjekt des Norddeutschen Bundes keine Beschränkungen, sondern mit den Vertragsgrundlagen übereinstimmende Erweiterungen seiner Machtsphäre erfahren hat. Freilich bleibt der letzte Satz insofern noch zweifelhaft und mufs insofern noch näher begründet werden, als der Norddeutsche Bund Gebiete in sich aufgenommen hat, in welchen ein den Bancroftverträgen entsprechender Vertrag niemals in Geltung war: nämlich Elsafs-Lothringen, Helgoland, die Schutzgebiete. Gilt der Vertrag vom 22. Februar 1868 auch für Elsafs-Lothringen, Helgoland, die Schutzgebiete?

Und wenn sich der nunmehrige Reichsvertrag vom 22. Februar 1868 auch auf diese Gebiete beziehen sollte,

so bleiben freilich noch bedeutsame Unterschiede zwischen dem Inhalt des Reichsvertrages und dem der kraftlos gewordenen süddeutschen Verträge bestehen. Sie sind zum Teil schon berührt worden und ergeben sich andererseits aus der Anlage IX, 3. Soweit die süddeutschen Verträge weitergehen als der Reichsvertrag, besteht kein Anspruch auf deren Erfüllung gegen das Reich oder die süddeutschen Staaten, weil das Reich als solches von den Vereinigten Staaten anerkannt worden ist und damit auch alle die völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Wandlungen, welche es bei seiner Gründung durchgemacht hat. Aber selbst wenn ein solcher Erfüllungsanspruch bestände, er wäre praktisch ohne Bedeutung, weil seine Geltendmachung zur Kündigung des Vertrages bezw. der Verträge führen würde. Das ergibt sich ohne weiteres, wenn wir nunmehr die Handhabung des Vertrages durch die deutsche Regierung betrachten. Dabei stellt sich denn auch heraus, ob er für Elsafs-Lothringen, Helgoland, das Schutzgebiet gilt.

Viertes Kapitel.

Die Handhabung des Vertrages durch die deutsche Verwaltung.

§ 1. Grenzlinien von Verwaltung und Rechtsprechung. Quellen.

I. Gegensatz in der Anwendung des Vertrages durch die Verwaltung und durch die Gerichte.

Bisher sind bei unseren Untersuchungen die Ansichten, welche in der deutsch-amerikanischen Diplomatie herrschen, wohl berührt, aber absichtlich nicht näher dargelegt worden, weil hier der gesetzliche Inhalt, und weniger die praktisch-politische Tragweite der Bancroftverträge im Vordergrunde steht. Ein Gegensatz zwischen der Vertragsanwendung durch die Diplomatie und der Praxis der Gerichte ist sehr wohl denkbar, wenn auch noch nicht hervorgetreten. Wie in den Vereinigten Staaten, so ist es auch im Deutschen Reiche möglich, dafs die Gerichte, durch den Wortlaut der Verträge und staats- und völkerrechtliche Regeln gebunden, sie als gesetzliche Vorschriften im Zusammenhang mit andern streng so interpretieren und anwenden, dafs das Ergebnis dem Willen der Kontrahenten zur Zeit des Vertragsabschlusses widerspricht. Demgegenüber bleibt es der Regierung innerhalb ihrer Kompetenz, insbesondere also bei Ausübung des Begnadigungsrechts unbenommen, den wahren Willen im Gegensatz vielleicht zu dem juristischen Ausdruck, den er gefunden, zur Geltung

und die völkerrechtliche Verbindlichkeit als solche in ihrer ursprünglichen Gestalt zur Anwendung zu bringen. Freilich zeigt sich hier eine erhebliche Schranke. Die Regierung ist nicht in der Lage, eine extensive Interpretation der Verträge durch die Gerichte, das heifst hier eine solche, welche ihre Bestimmungen auf mehr und dem Gegenkontrahenten günstigere Fälle anwendet, als beiderseits beabsichtigt war, durch die eigene Praxis unwirksam zu machen. Vielmehr kann sie ihre Ansicht von der Tragweite der Verträge immer nur soweit durchsetzen, als die Gerichte nicht angegangen werden. Die eigentliche Kompetenz für die Erfüllung der völkerrechtlichen Verbindlichkeit auf Grund der Verträge beginnt erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung oder in dem Falle, wo ein gerichtliches Verfahren überhaupt nicht in Frage steht. Alsdann aber kommt für die Praxis der Regierungen der eigentlich juristisch-gesetzliche Inhalt der Verträge nur sekundär in Betracht. Die Regierung würde dolos handeln, welche sich auf den Inhalt und die etwaige Rechtsprechung im Widerspruch mit dem historisch festzustellenden Vertragswillen berufen wollte. Völkerrechtlich existiert nur der letztere. So ist es möglich, dafs die Praxis des deutschen Auswärtigen Amtes völkerrechtllch ganz korrekt, staatsund strafrechtlich aber unbegründet ist. Dies gilt z. B. bei seiner abweisenden Stellungnahme zu der Frage, ob die Fahnenflucht unter den Schutz des Artikel II falle. Auch völkerrechtlich unbegründet ist, wie zuletzt darzulegen

1 Wie weit die Autorität der Ansicht des Auswärtigen Amtes auf die gerichtlichen Entscheidungen Einfluss hat, ist eine Sache für sich. Anklage zu erheben, trotzdem bekannt ist, dafs selbst bei rechtskräftiger Verurteilung nach der Praxis des Auswärtigen Amts Begnadigung erfolgt und völkerrechtlich erfolgen mufs, davon mag nicht ohne Grund Abstand genommen werden, wenngleich es immerhin einen Unterschied macht, ob jemand bestraft und alsdann begnadigt wird oder auf dem angedeuteten Wege gleichsam durch Kabinetsjustiz von dem Strafverfahren und der Bestrafung ferngehalten wird. Natürlich wird die Stellungnahme der Verwaltungsbehörden durch jene Autorität bestimmt, die der Verwaltungsgerichte unbegründeterweise auch.

2 Wenn auch politisch gegenüber den einzelnen Bundesstaaten verständlich.

versucht wurde, die Ansicht des Auswärtigen Amtes von der Gültigkeit aller deutschen Bancroftverträge und die seit den 80er Jahren aufgekommene und durchgeführte Ansicht

der Ausnahmestellung Elsafs-Lothringens gegenüber den Bancroftverträgen. Auf die letztere Frage und die Haltung des Auswärtigen Amtes zu ihr ist hier näher einzugehen.

II. Quellen für die Verwaltungspraxis.

Die Stellung des Auswärtigen Amtes zu der hier interessierenden Frage wie überhaupt die Anwendung der Bancroftverträge im völkerrechtlichen Verkehr ist, wie nicht oft genug wiederholt werden kann, aus deutschen Quellen nicht ersichtlich. Die Akten des Auswärtigen Amtes sind nach den dort bestehenden Grundsätzen unzugänglich', und irgend welche Publikationen über den internationalen Verkehr finden im Deutschen Reiche nicht statt. Wer die Praxis der deutschen Diplomatie im Verkehr mit den Vereinigten Staaten kennen lernen will, mufs zu amerikanischen Quellen seine Zuflucht nehmen und aus amerikanischen Quellen, also aus dem englischen Texte der deutschen Korrespondenz des Auswärtigen Amtes oder des deutschen Botschafters in Washington die Haltung der deutschen Regierung in der Beleuchtung amerikanischer Interessen zu erkennen suchen. Das deutsche Staatsrecht kennt leider keine Verpflichtung der Regierung, über die auswärtigen Beziehungen des Reichs zu berichten, soweit dies ohne Gefährdung des Staatsinteresses möglich ist. Und dies ist regelmässig, wenn nicht immer, in den Fällen möglich, wo, wie vorliegend, die Interessen des einzelnen Staatsangehörigen Gegenstand des diplomatischen Verkehrs sind, wo also die Anwendung eines internationalen Verwaltungs

1 Wie vom Auswärtigen Amte mir auf meine Anfrage durch den Polizeileutnant des Polzeireviers meiner Wohnung mündlich mitgeteilt worden ist. Auch das preufsische Justizministerium und Ministerium des Innern haben mir eine Einsichtnahme des Aktenstückes über den Bancroftvertrag nicht gestattet.

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