Imagini ale paginilor
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gesetzlichen Charakter abzusprechen. Bei diesem Bestreben wird eine Verletzung völkerrechtlicher Verbindlichkeit durch staatliche Gesetzgebung prinzipiell für ausgeschlossen erklärt, wenn nicht die Absicht des Gesetzes auf die Vertragsaufhebung gerichtet ist.

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Schliefslich steckt hinter der Begründung des Reichsgerichts unausgesprochen der in der Literatur des Völkerrechts vereinzelt vertretene1 Rechtssatz, dafs das Völkerrecht eine dem Staatsrecht übergeordnete Rechtsordnung sei, dafs also die Rechtssätze des ersteren denen des letzteren vorgingen. Demgegenüber gibt es nur noch eine Möglichkeit, nämlich, dafs mit dem staatsrechtlich gültigen Abschluss eines Staatsvertrages dessen Rechtsnormen den Charakter von Gesetzesbefehlen" erhalten und allen übrigen gesetzlichen Vorschriften des betreffenden Landes in staatsrechtlicher Beziehung gleichstehen. Hierzu hat sich das Reichsgericht in der anderen, oben wiedergegebenen Entscheidung ausdrücklich bekannt, während es in seiner Entscheidung Band 24 S. 13 einer klaren Stellungnahme aus dem Wege geht und allgemeine Prinzipien, vor denen es selbst zurückschrecken würde, in allzu allgemeiner und daher verwirrender Fassung auf den einzelnen Fall anwendet. Es ist selbstverständlich, dass nach landesrechtlichen Grundsätzen ein Gesetz als einseitiger Rechtsakt einen Staatsvertrag nicht aufheben kann, ja, es ist auch ganz unbestritten, dafs ein Gesetz dies selbst dann nicht vermag, wenn es die Aufhebung beabsichtigt. Der Staatsvertrag als völkerrechtliche Vereinbarung unter Staaten kann nur nach den Regeln des Völkerrechts aufgehoben werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen bestimmte Gesetz

1 Wie ihn Störk (in L.A. Bd. 9 S. 41) dahin formuliert hat: „dafs ein internationales Vertragsrecht nur unter der unerlässlichen Voraussetzung denkbar ist, dafs die internationale Rechtsordnung als Rechtsordnung übergeordneter Natur nicht durch einseitige Gesetzgebungsakte der ihr eingegliederten Staatsindividuen abgeändert werden," und insbesondere in v. Stengels Wörterbuch näher ausgeführt hat. Vgl. ebenso Kaufmann a. a. O.

Staats- u. völkerrechtl. Abhandl. V 1. Bendix.

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gebungsakte den Staatsvertrag nach Völkerrecht hinfällig machen, ist eine rein völkerrechtliche Frage und wird später genauer untersucht. Womit sich das Reichsgericht zu beschäftigen hatte, war aber allein, ob nach deutschem Staatsrecht ein späteres Gesetz nicht einen früheren Staatsvertrag als einen Inbegriff von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten aufhebt, sondern, ob es seiner weiteren Durchführung entgegensteht, ob der völkerrechtlich gültige und staatsrechtlich erfüllte Vertrag durch spätere Gesetze staatsrechtlich aufser Wirksamkeit gesetzt worden ist. Die Möglichkeit eines solchen Widerspruches zwischen völkerrechtlicher Gültigkeit und nachfolgender „Entziehung der Rechtswirksamkeit" hat das Reichsgericht prinzipiell selbst für einen der Bancroftverträge in der andern hier zitierten Entscheidung festgestellt, und zwar als ganz unabhängig von den Absichten des Gesetzes 1.

II. Die Streitfrage über völkerrechtliche Gültigkeit und staatsrechtliche Vollziehbarkeit der Staatsverträge mit Rücksicht auf die Bancroftverträge.

a) Dieser Widerspruch ist als Gegensatz von völkerrechtlicher Gültigkeit und staatsrechtlicher Vollziehbarkeit 2 in der Literatur über die Staatsverträge Gegenstand vieler und eingehender Erörterungen geworden; und eine Entscheidung über jenen Widerspruch ist abhängig von einer Ansicht über diesen Gegensatz. Die Erörterungen über letzteren haben sich freilich durchgehends auf den Abschlufs von Staatsverträgen, nicht auf deren Aufserkrafttreten erstreckt. Hatten sie aber das letztere im Auge, so suchten sie es zu negieren auf Grund des Prinzips, dass im Zweifel die innere Rechtsordnung des Staates mit der über

1 Anderer Ansicht Seligmann S. 222 u. 223, und Heilborn in L.A. 1897 S. 175. Dagegen von Bahr, Lehrbuch, S. 289.

2 Vgl. Unger, S. 349 f.; Leoni S. 504; Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 345. Die besondere Lösung, welche Jellinek versucht, findet sich schon bei von Mohl, Staatsrecht, S. 303 f. Anm. 1. Vgl. auch von Rönne, Preufsisches Staatsrecht, Bd. II, 2 S. 299.

geordneten, wird gar behauptet - völkerrechtlichen Ordnung sich im Einklange befinden müsse, ein Prinzip, dessen rechtliche Begründung gar nicht versucht wird und auch unmöglich ist, dessen Anwendung in einigen besonderen Fällen versagt, und das schliefslich nichts ist als eine Fiktion aus politischen Motiven. Der Fortfall der Rechtswirksamkeit eines Staatsvertrages durch nachfolgende Gesetze wird bei bestimmten Staatsverträgen historisch und dogmatisch im einzelnen nicht verfolgt. Die Nichtberücksichtigung dieses Gesichtspunktes ist neben den mitwirkenden politischen Erwägungen, eine der Hauptfehlerquellen bei der Behandlung der Materie1. Auf diese Streitfrage, soweit sie für das deutsche Staatsrecht in Betracht kommt, soll an dieser Stelle eingegangen werden, weil, wie schon bei Betrachtung der Reichsgerichtsentscheidungen hervorging, die Ansicht vertreten wird, dafs sich nach dem Ausdruck Ungers die Gültigkeit eines Staatsvertrages nicht spalten lasse, dafs also wie die völkerrechtliche Gültigkeit die staatsrechtliche, die staatsrechtliche Ungültigkeit die völkerrechtliche Ungültigkeit eines Staatsvertrages und umgekehrt diese Ungültigkeit jene staatsrechtliche eo ipso zur Folge habe. Auf diese Streitfrage ist hier einzugehen, weil sich eben in jenen Kontroversen die Möglichkeit eröffnet, dafs der Art. II Abs. 1 der Reichsverfassung eine Einschränkung erfährt, nach welcher Reichsgesetze den Staatsverträgen der Bundesstaaten insbesondere also den Bancroftverträgen nicht vorgehen, und schliefslich, weil einmal der Abschlufs eines neuen ,,Bancroftvertrages" für das Deutsche Reich in Frage kommen könnte, mag dabei das Folgende im einzelnen auch über den hier gesteckten Rahmen hinausgehen.

b) Darüber wird kaum ein Zweifel laut werden können, dafs die Bancroftverträge, ihre Gültigkeit einmal voraus

1 Siehe Literaturgeschichte bei Seligmann S. 41-145. Vgl. neuerdings auch Riess, vor allem auch wegen der Berücksichtigung des Staatsrechts der deutschen Bundesstaaten.

gesetzt, der Beaufsichtigung und im Falle einer Revision und eines Neuabschlusses entsprechender Verträge mit den Vereinigten Staaten oder anderen Staaten auch der Gesetzgebung (der Vertragschliefsung) des Reiches unterliegen. Die völkerrechtliche Gültigkeit und staatsrechtlich wirksame Vollziehung der Verträge mit dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen kann für die Zeit des Abschlusses im Jahre 1868 nicht bestritten werden, da alle gesetzgebenden Faktoren in jenen Staaten, und zwar einstimmig, zugestimmt haben. Für Württemberg ist die völkerrechtliche Gültigkeit des Abschlusses des Vertrages aus bald ersichtlichen Gründen zweifelhaft, fraglich ist aber, wenn einmal die Gültigkeit. unterstellt wird, ob die Gültigkeit des Vertrages durch seine, wie wir sahen, formell zwar erfolgte, materiell aber unwirksame Annahme seitens des württembergischen Landtages nachträglich aufgehoben wird. In Bayern ist der Vertrag im Jahre 1868 durch den König ohne vorherige oder nachfolgende Zustimmung des Landtages geschlossen und auf Seiner Königlichen Majestät Allerhöchsten Befehl durch das Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äufsern zur Darnachachtung1 verkündet worden. Es kann Bedenken unterliegen, ob der König damit seine Kompetenz nicht überschritten hat. Dies ist nämlich der Fall, wenn auch nur ein Teil der Gegenstände des Staatsvertrages zur Zuständigkeit des Landtages gehört, dessen Zustimmung alsdann erforderlich gewesen wäre. Dadurch, dafs der Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten vom 26. Mai 1868 als ein solcher über die Staatsangehörigkeit der wechselseitigen Einwanderer bezeichnet wurde, hat man die Erforderlichkeit der Zustimmung des Landtages zu Änderungen der bestehenden Militär- und Strafgesetzgebung nicht beseitigen können. Offenbar aber greift der Artikel I des Vertrages vom 26. Mai 1868 in die Vorschriften der Artikel 3-7, 66, 73, 76 ff. des bayrischen Gesetzes über

1 Regierungsblatt S. 2153. Anlage I, 1 b.

die Wehrverfassung vom 30. Januar 1868 ein1. Dafs nach dem bayrischen Staatsrecht unserer Zeit die Zustimmung des Landtages zum Abschlufs eines dem Vertrage vom 26. Mai 1868 entsprechenden Vertrages erforderlich sein und eingeholt werden würde, falls ein solcher überhaupt durch einen Bundesstaat abgeschlossen werden dürfte, muss angenommen werden 2.

Schon aus diesen beiden Beispielen Württembergs und Bayerns ergeben sich erhebliche Bedenken gegen Ansichten, welche in der Kontroverse über den Abschlufs von Staatsverträgen nach deutschem Staatsrecht aufgestellt sind.

Der württembergische Vertrag ist für die Lehre von der Notwendigkeit der Kongruenz" der Vorschriften über den Abschlufs und die Ausführung von Staatsverträgen nach zwei Richtungen sehr lehrreich, insbesondere wenn die in der Literatur und mit Ausnahme der württembergischen und amerikanischen Regierung allgemein unbekannte Tatsache berücksichtigt wird, dafs der Vertrag im Widerspruch mit Artikel VI des Vertrages und mit den Erklärungen des Regierungsvertreters bei der Beratung vor der Zustimmung des Landtages vom König von Württemberg ratifiziert und damit in Gemäfsheit des Artikel V in Kraft gesetzt worden ist. Dies ergibt sich aus der Einleitung der Königlichen Verordnung, welche den Vertrag veröffentlicht (Nachdem der ... abgeschlossene und ratifizierte Staatsvertrag... die verfassungsmässige Zustimmung unserer getreuen Stände erlangt hat) und aus der Feststellung zum Schlufs der amerikanischen Proklamation, dass the said treaty has been duly ratified on both parts and the respective ratifications have been exchanged, auf Grund

1 Vgl. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. VI S. 559 ff.; Riess S. 51 f., und Blätter für administrative Praxis und Polizeigerichtspflege 1868 (Bd. 18) S. 275 f., 1869 (Bd. 19) S. 104, und Bd. 40 S. 359 u. 382. 2 Laband Bd. II S. 123 Anm. 1.

3 Verhandlungen der württembergischen Kammer der Standesherren von 1870-1872, erster Protokoll-Band, 24. Sitzung vom 5. März 1872 S. 344. Anlage IV, d. Vgl. Bazille und Köstlin S. 92 ff.

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