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und über Amerika“ (Berlin, Springer, 1876). In den Arbeiten Kapp's ist eine umfassende und gründliche Sachkenntniß zu finden, welche sich auf einen langjährigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten sowie eine rege und bedeutsame Theilnahme an dem politischen Entwickelungsgange derselben stützt; vornehmlich aber ist an ihnen zu loben, daß sie, abweichend von allen frühern Erzeugnissen der einschlägigen Publicistik, nicht nur für die guten Seiten des amerikanischen Lebens ein offenes Auge haben, sondern auch sich nicht scheuen, die mannichfachen Mängel aufzudecken, an denen dasselbe entschieden leidet. Mag diese Offenheit nicht allenthalben das Wohlwollen der Amerikaner erregen, sie hat zweifellos sehr günstige Erfolge gehabt, indem sie diesseit wie jenseit des Oceans zu einer vorurtheilslofern und gerechtern Kritik der Union und ihres Rechtszustandes den Anstoß gab, als man sie bis dahin zu üben pflegte. Diesen Standpunkt, welchen zuerst gewiesen zu haben das unbestreitbare Verdienst Kapp's bleibt, hat denn auch das letzte in deutscher Sprache erschienene Werk über Amerika vollständig zu wahren gewußt, nämlich von Holst, „Verfassung und Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika" (Düsseldorf 1873), fortgesezt unter dem Titel „Verfassungsgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika seit der Administration Jackson's" (Berlin 1878). Dieses Werk muß neben demjenigen Tocqueville's unstreitig als das bedeutendste Erzeugniß fremdländischer Literatur über die Union angesehen werden; wenn dasselbe eine Schwäche hat, so liegt diese, wie der Verfasser übrigens selbst zuzugeben scheint, darin, daß er zunächst eine Darstellung des geltenden Verfassungsrechtes schreiben wollte, welcher er eine kurze geschichtliche Einleitung voranzuschicken beabsichtigte, sich dann aber an diesen Vorsatz nicht streng gehalten und eine Art Verfassungsgeschichte geschrieben hat, welche nun freilich in mancher Beziehung an Vollständigkeit zu wünschen übrig läßt; es sind nämlich nur einzelne Momente aus dem gesammten Entwickelungsgange herausgegriffen und allzu unvermittelt nebeneinander gestellt worden, um dem Uneingeweihten ein völlig klares Bild des behandelten Gegenstandes zu entrollen; rechnet man hierzu noch, daß das Werk weniger allgemein verständlich geschrieben ist als dasjenige Tocqueville's, so wird man sich erklären können, warum es bisher in Europa und namentlich auch in Deutschland nicht zu einer gleich großen Berühmtheit gelangt ist wie jenes andere; dagegen hat es in Amerika entschiedenes Auf

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sehen erregt und von maßgebender Seite vielfach eine sehr anerkennende Beurtheilung erfahren, welche allerdings ebenso verdient wie an sich seltsam erscheint; verdient - weil nirgends eine gleich sorgfältige Ausnutzung und gediegene Zusammenstellung aller beachtenswerthen Quellen zu finden ist; seltsam weil von Holst, wie schon angedeutet wurde, sich keineswegs immer als Bewunderer der amerikanischen Union zu erkennen gibt, sondern mancherlei Mängel in den rechtlichen und gesellschaftlichen Zuständen derselben aufzudecken weiß. Hoffentlich wird dieser dankenswerthen. Arbeit im Laufe der Zeiten eine immer allgemeinere Berücksichtigung zutheil und damit auch auf der Ostseite des Atlantischen Oceans, besonders aber in Deutschland, eine richtigere und gründlichere Kenntniß der überseeischen Republik gefördert werden.

Drittes Kapitel.

Ueber Staatsverfassungen im allgemeinen mit besonderer Rücksicht auf die amerikanische Constitution.

Jeder Staat wird geleitet durch die souveräne Staatsgewalt, d. h. eine Gewalt, welche alle durch die begriffliche Eigenart des Staates erforderten Acte sowol den Bürgern desselben wie andern Staaten gegenüber zu endgültigem Ausdrucke bringt; weil aber diese Gewalt an sich nur in der Idee besteht, bedarf sie, um praktisch wirken zu können, der Darstellung durch bestimmte physische Persönlichkeiten; den Inbegriff derjenigen Grundsäße, nach welchen diese Personification" vor sich geht, heißt man die Verfassung des Staates; der Inhalt einer solchen kann sich daher, strenggenommen, auch nur darauf beziehen, wer zu regieren habe, denn

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1 So hat man dies Wort im engern Sinne zu fassen; häufig wird ihm auch eine weitere Bedeutung untergelegt, indem man darunter nicht nur die Bestimmungen über die Personification der Staatsgewalt, beziehungsweise das in einem Staate geltende Grundgesetz, sondern dieses lettere sammt allen sonstigen in Kraft befindlichen Gesetzen begreift.

in dem Willen der verfassungsmäßig zu Trägern der Staatsgewalt berufenen Personen muß das ganze Leben des Staates seinen Ausgangspunkt finden. Danach scheint es, als ob der Inhalt jeder Verfassung nur ein außerordentlich einfacher sein. könne; dem ist jedoch nicht immer so, denn einerseits wird die Regierung häufig einer sehr großen Zahl von Personen zuerkannt, deren individuelle Bestimmung und rechtliche Stellung zueinander ziemlich verwickelte sein können; andererseits enthalten — wenigstens da, wo Verfassungen eine urkundliche Aufzeichnung in Grundgesehen erfahren — diese letztern fast immer Anordnungen, welche zwar nach dem Gesagten begrifflich nicht in eine Verfassung gehören, aber in jedem concreten Falle. selbstverständlich als ein Theil derselben angesehen werden müssen. Es sind im wesentlichen sieben verschiedene Fragen, nach denen sich der Inhalt wie jeder geschriebenen Verfassung, so auch der amerikanischen auflösen läßt:

I. Wer ist Träger der Staatsgewalt?

II. Welches sind die Befugnisse desselben?

III. In welcher (formellen) Weise hat derselbe seinen Willen zu äußern?

IV. Wie soll sich dieser Wille (in materieller Hinsicht) be= thätigen?

V. Wer soll Träger der,,Executive“ sein?

VI. Von wem und wie ist die richterliche Gewalt zu üben?
VII. Wie ist die Verfassung zu ändern?

Diese Fragen, welche übrigens, wie man sehen wird, alle einander ergänzen, sind nun noch im allgemeinen unter besonderer Rücksicht auf die amerikanischen Verhältnisse zu beantworten.

I. Man hat bisher wol anerkannt, daß nicht nur Eine physische Person, sondern auch eine Mehrzahl solcher, und diese wieder in verschiedene Körperschaften gesondert, als Träger der Souveränetät sich denken lasse; jedoch pflegt man zu glauben, daß, wer immer hiernach zur Regierung berufen sei, diese ausschließlich und schlechthin üben müsse; diese Ansicht stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung als unhaltbar heraus. Sicherlich ist die „Staatsgewalt“ immer nur Eine, und sicherlich hat sie alle durch das Wesen des Staates erforderten Acte zu üben; das aber widerspricht dem nicht, daß es verschiedene „Träger“ dieser Einen Staatsgewalt gibt, und daß unter diesen eine Vertheilung der Souveränetät entweder in materieller oder in materieller und räumlicher Beziehung zugleich

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eintreten kann; die letterwähnte Möglichkeit enthält den Schlüssel zu der begrifflichen Natur zusammengesetter Staaten“ und foll an anderer Stelle näher besprochen werden; hier handelt es sich zunächst um den Fall, daß eine Theilung der Souveränetät unter verschiedene Factoren lediglich in materieller Hinsicht stattfindet. Um zu einem nähern Verständnisse dieses Falles zu gelangen, hat man von folgenden Erwägungen auszugehen: Es ist schlechterdings nicht angänglich, anzugeben, worin die Acte der Regierenden, so= weit sie als Träger der Staatsgewalt handeln, zu bestehen haben; die unerschöpfliche Mannichfaltigkeit des in dieser Beziehung Denkbaren schließt eine Aufzählung aller Einzelheiten unbedingt aus; nichtsdestoweniger vermag man natürlich, bestimmte Arten solcher Acte hervorzuheben, über welche hinaus dann allerdings eine unbegrenzte Zahl anderer vorhanden sein kann und vorhanden sein. muß; infolge dessen kann es aber auch geschehen, daß zu Trägern der Staatsgewalt verschiedene Personen oder Factoren gleichzeitig berufen werden, wenn nur die Sphäre jedes Theiles sachlich so genau umschrieben ist, daß eine Collision derselben mit derjenigen eines andern Theiles ausgeschlossen erscheint; und in der That machen denn auch alle Verfassungsgesetze von dieser Möglichkeit Gebrauch. Beispielsweise mag hier auf die constitutionellen Monarchien Europas hingewiesen werden: das Recht unter anderm, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, muß begrifflich ebenso sehr als ein Ausfluß der Souveränetät angesehen werden, wie etwa der Erlaß eines Gesetzes, welches in das Gebiet des Privatrechtes fällt, und doch steht das erstere dem Monarchen nach freier Wahl zu, während er bei dem zweiten an die Mitwirkung der Kammern gebunden ist; das aber heißt doch offenbar nichts anderes, als: Träger der Souveränetät ist in jenem Falle der Monarch nach freier Wahl; in diesem der Monarch soweit er seinen Willen in Uebereinstimmung mit den Beschlüssen des Parlamentes äußert; die Trägerschaft der Staatsgewalt ist hier eine verschiedene, je entsprechend der materiellen Richtung, nach der hin sich diese, immer Eine, Gewalt zu bethätigen hat. Wenn daher durch eine Verfassung bestimmte Befugnisse, welche begrifflich als Regierungshandlungen zu gelten haben, einer Person oder einer Körperschaft oder einer Mehrzahl solcher zugesprochen sind, werden die Berechtigten als Träger der Souveränetät anzusehen sein, gleichviel, ob die Verfassung das ausdrücklich anerkennt oder nicht, ja selbst dann, wenn sie nur andern Personen oder Factoren

den Charakter als Souverän zuspricht. Diesem leztern Umstande darf kein Gewicht beigelegt werden, denn gerade auf dem Gebiete des Staatsrechtes kann Klarheit nur dann herrschen, wenn die logischen Ergebnisse aus dem Wortlaute eines Gesetzes bedingungslos anerkannt werden, ohne Rücksicht auf die Irrthümer einer frühern Zeit, welcher jenes seine Entstehung verdankt. Aus allem Gesagten ergibt sich der in der Staatswissenschaft bisher sehr selten aufgestellte Saß, daß selbst in vollkommenen Einheitsstaaten mehrere Träger der Souveränetät je mit materiell verschiedener Competenz vorhanden sein können; und auch die amerikanische Verfassung liefert für die Richtigkeit desselben einen beachtenswerthen Beleg. Soweit die Union als ein einheitliches Ganze erscheint, theilen sich in die derselben als solcher zufallende Souveränetät, wie weiter unten im einzelnen nachgewiesen werden soll, der „Präsident“, das „Repräsentantenhaus" und der „Senat“, in der Art, daß einmal der erstere, nach freier Wahl handelnd, dann wieder im Vereine mit einem der beiden Häuser und schließlich mit beiden zugleich als Inhaber dieser Souveränetät erscheint.

II. Was die zweite der angedeuteten Fragen betrifft, welche Befugnisse den Trägern der Staatsgewalt zustehen, so hat man nach dem, was vorgetragen worden ist, zu erklären, daß ihnen alle Rechte gebühren, welche wahrzunehmen die Erhaltung des Staates, als eines ideellen Ganzen, erfordert. Diese an sich sehr einfache und selbstverständliche Antwort bedarf nun aber für die amerikanischen Verhältnisse doch einer nähern Besprechung mit Rücksicht auf eine höchst eigenartige Bestimmung der Constitution; Art. X der Amendements besagt nämlich: „Alle Befugnisse, welche von der Constitution den Vereinigten Staaten nicht delegirt oder ausdrücklich durch dieselbe den Staaten genommen werden, sind den Staaten, beziehungsweise dem Volke vorbehalten.“ So= weit dieser Artikel sich auf das Verhältniß zwischen der Unionsregierung und den Regierungen der Einzelstaaten bezieht, ist er durchaus unbedenklich; die Unionsregierung kann nicht als alleinige Trägerin aller Hoheitsrechte erscheinen, weil sie erst im Vereine je mit einer Einzelstaatsregierung die,,Staatsgewalt“ darstellt; aber eben darum muß die Summe der Befugnisse, mit welchen

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2 ,,The powers not delegated to the United States by the constitution nor prohibited by it to the states, are reserved to the states respectively, or to the people."

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