Imagini ale paginilor
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in ihrer weniger ernsten Stimmung eigen sind; die Qual, welche sie erduldet, die Gewißheit, daß in ihren Händen die letzte schwache Hoffnung Roms liegt, hat ihre natürliche Reizbarkeit besiegt. Wieder hält sie inne in Erwartung einer Antwort. Coriolan erhebt sich ungeduldig, als wolle er die Gefühle abschütteln, welche ihn beherrschen; entschlossen hält Volumnia ihn davon zurück. Ihr Zorn, ihre Berufung auf das Vaterland haben ihre Wirkung gethan, wenngleich nicht so, wie sie es erwartete; nun weist sie wieder auf die Ehre hin, wie sie meist zu thun pflegt. Ihr Ton ist der des Begründens, und fällt schnell und scharf. Sie hält noch einmal an, und wie er stumm bleibt, so schreitet sie langsamer, aber mit wachsendem Pathos, zu der schweren Verdammung:

Du weißt, mein großer Sohn,

Das Ende dieses Kriegs ist ungewiß;
Gewiß ist nur, daß, wenn Du Rom eroberst,

Du einen Namen ernten wirst als Lohn,

Dem Flüche folgen, so oft man ihn nur nennt,

Von dem die Chronik schreibt: Der Mann war edel,

Sein letzter Frevel aber löscht dies aus,

Zerstört hat er sein Vaterland; sein Name

Bleibt aller Zeiten Abscheu.

Eine weitere Pause: noch immer bleibt Marcius stumm. Eine schreckliche Furcht ergreift sie: wird er, der ihr niemals Etwas verweigerte, ihre Bitte abschlagen? In plötzlicher Angst ruft sie aus:,,Sohn, sprich zu mir!" und wartet voll athemloser Spannung auf die Antwort; dann redet sie weiter, ihn ungestüm an seine edlere Natur mahnend: „Du strebtest nach der schönsten Art der Ehre" noch immer keine Antwort. Sie schreit mit der Leidenschaft der Verzweiflung: „Warum schweigst Du? Scheint's würdig Dir des edlen Manns, daß er der Kränkung stets nur denkt?" Dann ruft sie Virgilia und das Kind an, ihr beizustehn, und dann blitzt plötzlich der Zorn hervor:

Kein Mann auf der Welt

Dankt seiner Mutter mehr; doch völlig achtlos
Läßt er mich schwatzen hier.

Mit großartiger Entrüstung fährt sie fort:

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Das ist ein Aufschrei der Seelenangst: ihre letzte Hoffnung ist dahin; sie wendet sich an das Gefolge:

Zur Erde, Frau'n; beschäm' ihn unser Knie'n.

Vaterland und Ehre, Vernunftgründe und Entrüstung sind unnütz angerufen worden; wenn er ihrer Selbsterniedrigung widerstehn kann, so ist Alles vorüber. Einen Augenblick glaubt sie, er gebe nach, und zeigt auf den ahnungslos bittenden Knaben; doch des Vaters Antlitz verfinstert sich, und voll Zorn wendet auch sie sich ab. Da ergreift er sie bei der Hand; und nun weiß sie, daß derselbe Angriffsplan, welcher ihn hinausgetrieben hat, sich vor den Tribunen zu demüthigen, ihr auch jetzt zum Siege verholfen hat. Er hält ihre Hand einen Augenblick fest, ehe er spricht:

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Und Volumnia erwiedert nicht ein Wort; sie weiß zu wohl, daß, indem sie um Gnade für ihr Vaterland gebeten, sie ihren einzigen Sohn dem Tode geweiht hat; auch wie das Volk sie bei ihrer Rückkehr mit Freudengeschrei und Dankbezeigungen empfängt, vermag sie nicht zu antworten: sie fühlt, daß sie ihr einziges Kind verloren, daß die Stimmen, welche ihr Willkommen zujauchzen, ihn in den Tod gejagt haben. Ihrem Vaterlande hat sie das größte Opfer gebracht; und wie sie ihre Angst nicht Allen zeigen wollte, als Marcius im Kriege war, ebenso verbirgt sie auch jetzt ihren Schmerz und kehrt heim, um zu weinen.

„Der bestrafte Brudermord
oder Prinz Hamlet aus Dänemark"

und

sein Verhältniß zu Shakespeare's Hamlet.

Von

Gustav Tanger.

Herr Prof. W. Creizenach in Krakau hat in den Berichten der philologisch-historischen Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (Sitzung vom 12. Febr. 1887) seinen zweiten Beitrag der „Studien zur Geschichte der dramatischen Poesie im 17. Jahrhundert" unter dem Titel veröffentlicht: 'II. Die Tragödie „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dänemark“ und ihre Bedeutung für die Kritik des Shakespeare'schen Hamlet.' Die höchst interessante und viel Neues bietende Abhandlung verdient die vollste Beachtung besonders Derjenigen, welche sich mit der Frage nach dem Verhältniß des deutschen Hamlet (nach Cr. wollen auch wir ihn hier einfach D nennen) zu Shakespeare's Hamlet, und dem der maßgebenden alten Ausgaben des letzteren (Quarto 1, 1603 A, Quarto 2, 1604 = = B, Folio 1, 1623 = F) unter einander eingehender beschäftigt haben; denn Jeder, der sich eine eigene Meinung über jene Frage gebildet hat, wird sich auf die eine oder andere Weise mit Cr.'s Argumenten abfinden und prüfen müssen, wie weit seine bisherigen Anschauungen etwa einer Modifikation bedürfen.

Da meine eigenen Hamlet-Untersuchungen, wenn auch nicht in ihrem Hauptresultat, so doch in mancherlei Punkten von untergeordneter Bedeutung durch Cr.'s Ausführungen betroffen werden,

so möchte ich im Folgenden auf Grund erneuter Prüfung von D, A und B versuchen, zu einem Urtheil über die Tragweite der Cr.'schen Abhandlung zu gelangen.

Nach einer einleitenden, übersichtlichen Darstellung der wichtigsten Punkte aus der Geschichte des deutschen Stückes (dessen Text uns bekanntlich durch den Abdruck in Cohn's Shakespeare in Germany, London 1865, leicht zugänglich gemacht ist) geht Cr., unter Hinweis auf die mancherlei Versuche, D für die Geschichte und Kritik des Sh.'schen Hamlet zu verwerthen, dazu über, in gedrängter Kürze einen Ueberblick der zum Theil noch immer stark auseinander gehenden Ansichten der Shakespeare-Forscher in Betreff der Entstehung des Sh.'schen Hamlet und des Verhältnisses von A, B und F untereinander zu geben, um darauf die wichtigsten Ansichten über die Herkunft von D und sein Verhältniß zu Sh.'s Hamlet zu verzeichnen:

Bernhardy, Latham und in neuerer Zeit auch der Harness-PrizeEssayist Widgery glauben, daß D auf den unzweifelhaft festgestellten,,älteren Hamlet" zurückzuführen und von den zu Ende des 16. und im 17. Jahrhundert in Deutschland in zahlreichen Gesellschaften auftretenden englischen Schauspielern für ihre Zwecke zurecht gestutzt worden sei. Keiner von den erwähnten Gelehrten hat jedoch mit hinlänglicher Präzision auseinandergesetzt, wie er sich die mit Sh. übereinstimmenden Bestandtheile von D erklärt, ob dadurch, daß Sh. das Alles schon in dem älteren Hamlet vorgefunden habe, oder dadurch, daß die wandernden englischen Komödianten auf dem Kontinent sowohl das Drama Sh.'s als auch das seines Vorgängers auf ihrem Repertoire hatten, und daß alsdann D durch Kontamination aus beiden Dramen entstanden sei." (Cr. p. 8).

Andere seien der Ansicht, daß die unbestreitbaren Aehnlichkeiten von D mit dem Sh.'schen Hamlet sich durch die Aufstellung der folgenden Abstammungstafel erklären lassen:

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Dieser Anschauung scheine u. a. Furness (Variorum Hamlet) zu huldigen, auch ließe sich des zweiten Harness-Prize-Essayisten Herford Meinung sehr wohl damit in Einklang bringen.

Jahrbuch XXIII.

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Wieder Andere glauben, daß D auf A zurückgehe, so Elze und M. Koch. Diese Ansicht war bisher auch die meinige, wie ich in der Rezension der Harness-Prize-Essays (Anglia V, 2, S. 35 ff.) und in der Anzeige meiner in den Transactions of the New Shak.-Soc. 1880-1882, Part I, veröffentlichten Hamletstudien (Anglia VI, 2, p. 11 ff.) ausgesprochen habe.

Endlich haben noch Dyce, Genée, Furnivall gelegentlich die Vermuthung geäußert, daß dem D allerdings A zu Grunde liege, daneben aber auch der authentische Sh.'sche Hamlettext hier und da mitbenutzt worden sei.

Bei diesem Widerstreit der Meinungen sucht Cr. nun dadurch den wahren Sachverhalt zu ermitteln, daß er

1) (S. 9 ff.) die Uebereinstimmungen von D mit Sh.'s Hamlet (Q1. und Q2.) in dem allgemeinen Verlauf des Stückes und auch in einer Reihe von Einzelheiten zusammenstellt;

2) (S. 12 ff.) die Uebereinstimmungen zwischen D und A gegen B beleuchtet, wobei er die unzweifelhaften von den mehr oder minder zweifelhaften, d. h. auf bloßem Zufall beruhenden, Fällen zu sondern bestrebt ist.

3) (S. 15 ff.) die Uebereinstimmungen zwischen D und B gegen A aufführt und endlich

4) (S. 19 ff.) untersucht, in wie fern sich D von A sowohl wie von B unterscheidet, wobei er darauf hinweist, daß der Hauptunterschied zwischen D und Sh.'s Hamlet nicht in den vielfachen Aenderungen und Zusätzen, sondern „in dem völlig veränderten Gesammtcharakter" des Stückes besteht. Cr. gelangt (S. 30) auf diese Weise zu dem freilich nicht neuen, aber doch durch ihn in dankenswerther Weise bestätigten Ergebniß des ersten Theiles seiner Untersuchungen, „daß D zum weitaus größten Theil auf Sh. zurückgeht und daß keine Veranlassung vorliegt, die nicht-Sh.'schen Bestandtheile aus einem anderen altenglischen (soll heißen: älteren englischen) Drama herzuleiten; sie für etwas Anderes zu halten als für Zusätze, wie sie die englisch-deutschen Komödianten auch sonst in ihre Repertoirestücke einzufügen pflegten.“

Diesem Resultat wird man gern zustimmen, ohne sich freilich dadurch mit allen einzelnen Ausführungen Cr.'s bedingungslos einverstanden zu erklären. So will es mir scheinen, als ob Cr. in der Anmerkung S. 19 f. der vielbesprochenen Umstellung gewisser Scenen in A (Furness's Abdruck, Zeile 755 ff., vgl. Transactions p. 172 ff.) und der in diesem Punkte hervortretenden Aehnlichkeiten zwischen

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