Imagini ale paginilor
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,,ersonnen“ und „ausgeführt" haben könnte, oder daß Tourneur sich mit der Bearbeitung befaßt haben sollte, ohne den Grundriß zu zerstören. Bekanntlich ist eine solche Zerstörung, ich möchte sagen folgerichtig nachgeholt durch Thomas Shadwell 1): indem er Timon eine getreue Geliebte zugesellte. Der Grundzug von Timon's Wesen und seine persönliche Größe leidet dadurch Schiffbruch. Denn Shadwell zieht ihn, den genialen und radikalen Individualisten herab in die Sphäre der Philisterei, über welche Shakespeare ihn so himmelhoch hinwegzuheben bemüht ist.

Da nun behauptet worden ist, daß der nach meiner Meinung unbeschädigte Grundriß oder Plan zum Timon verstümmelt worden sei, oder daß Shakespeare bei seiner Ueberarbeitung keine Rücksicht auf den Zusammenhang genommen habe, so ist es nöthig, den oft in Folge skizzenhafter Produktion nur leicht angedeuteten Grundriẞ bloßzulegen und den ideellen Zusammenhang aller Theile des Drama's zur Anschauung zu bringen. Mit diesem Schritt treten wir vollends aus dem Gebiet der äußeren in das Gebiet der inneren Kritik über.

II.

Die Literaturgeschichte ist bei dem größten aller Poeten leider fast ausschließlich auf ihren gesunden Menschenverstand und ein induktives Verfahren angewiesen, da wir über Leben und Entwicklungsgang Shakespeare's außer durch seine Werke nirgends genügende Aufschlüsse erhalten. Die mit so großem Fleiß ausgearbeitete Goethe-Forschung rückt uns deshalb des Dichters Werke immer näher, weil sie die Verbindung von Goethe's Dichtung mit seinem Leben Zug um Zug herzustellen bemüht ist, so daß durch Analyse der persönlichen Erfahrungen und Gewohnheiten des Dichters sogar der zweite Theil des Faust auch in seinen Einzelheiten nicht mehr als ein dunkles Geheimniß bei Seite gelegt zu werden braucht. Auf diese nennen wir es Genesis des Poeten müssen wir bei Shakespeare fast ganz verzichten, so groß auch die Verlegenheit der Kritik sein mag. Denn ein Schluß aus der Analyse eines

1) The History of Timon of Athens, the Man-hater, made into a play by Thomas Shadwell. London 1678.

Vergl. auch die Bearbeitung von James Lowd, London 1768 und Rich. Cumberland, London 1771.

oder mehrerer seiner Werke ist immerwährend der Gefahr ausgesetzt, gelegentliche Aeußerungen des Dichters, die nur etwa durch das subjektive Element seiner Sonette, nicht aber durch einen Briefwechsel oder eine Selbstbiographie gestützt werden können, als charakteristisch für den Verfasser hinzustellen, während sie doch nur für die Person, der sie in den Mund gelegt sind, charakteristisch sein sollten. Die Verlegenheit der Kritik, die dem Mangel an historischer Tradition entspringt, wird indeß zu einer unentrinnbaren Gefahr, den Vorwurf zu verdienen, daß man das Gras wachsen hören könne, wenn der entschieden subjektiv gefärbte Inhalt einer Dichtung wie Troilus and Cressida und ganz besonders Timon of Athens nothgedrungen zu Schlüssen auf die Grund- oder Verstimmung des produzierenden Subjekts führen muß. Um so größere Vorsicht, aber auch um so muthigere Entschlossenheit, dieser nothwendigen Gefahr in's Auge zu schauen, wird für den vorliegenden Fall in Kraft zu treten haben.

Shakespeare's Eigenart, die Eigenart des Dichters überhaupt, ist, die in der Erscheinung zerstreut liegenden Momente einer Idee (im Platonisch-Schopenhauer'schen Sinne) zu einer lebendigen Existenz zu vereinigen. Diese Eigenart als ein unumschränktes Vermögen in Wirkung zu setzen, ist das höchste Ziel der Poesie. Sie steigert sich in Shakespeare's Produktion von Werk zu Werk, ganz nach Maßgabe seiner persönlichen Reife und Menschenkenntniß, welche in seiner besten Periode so herrliche Früchte wie Romeo and Juliet und Hamlet zeitigte, in einer späteren Periode aber an einer gewissen Ueberproduktion an Wissen um die Welt erkrankte, welche zur Folge hatte, daß sein unermeßlicher geistiger Reichthum seine scenischen Existenzen überwucherte und ihre Form zu sprengen drohte, je umfassender sein Verstand, je genauer seine Erfahrung, je tiefer seine Empfindung ward. Auf der Grenze zwischen beiden Phasen des Innenlebens stehen The Winter's Tale und The Tempest. King Lear, Troilus and Cressida, Antony and Cleopatra, Coriolanus und Timon of Athens gehören ganz der letzteren an. Seine Vorliebe für psychologische Probleme von außergewöhnlicher Bedeutung1) ist aus dieser Entwicklung abzuleiten; wie denn thatsächlich Prospero, Lear, Achilles

1) Der Dichter fragt zu Anfang des Timon den Maler:

But what particular rarity? what strange,

Which manifold record not matches?

und Thersites, Antonius und Cleopatra, Coriolan und Timon ganz ausgeprägte Individualisten sind, die das Interesse fast ausschließlich in Anspruch nehmen. Sie stehen sämmtlich der Gesellschaft als Einzelne, die ihr sittliches Recht in sich suchen, gegenüber, sie sind herausgelöst aus dem normalen Verbande von Leistung und Gegenleistung, Pflicht und Recht, welches die gesunde Einheit einer menschlichen Gemeinschaft bedingt; aber sie gehen sämmtlich, mit Ausnahme der mit besonderer Laune gezeichneten Achilles und Thersites und des zur Norm zurückkehrenden Prospero, an dem Vorrecht ihrer Ausnahmestellung zu Grunde. Diese Uebereinstimmung der Stellung der Hauptcharaktere in Shakespeare's letzten Schöpfungen muß zum Untergrunde eine gleiche Stellung des Dichters selber zu Zeit und Zeitgenossen gehabt haben. Er war ein rund für sich bestehender Individualist geworden, dem so sehr die Gesetze und Maße aller Verhältnisse in's eigene Fleisch und Blut übergegangen waren, daß er sie nur noch in sich und an sich selber suchen konnte, ein Schicksal, das sich in Nichts von dem des älteren Goethe oder des älteren Luther unterscheidet. Ein tragisches Schicksal des vorgeschrittenen Genies! Denn dieser Vorzug trennt es zuletzt von seinem Volk, ja von der ganzen Menschheit.

Prospero, in dessen Person Shakespeare seiner geistigen Gesundheit und Kraft ein ewig währendes Denkmal gesetzt hat, erleidet im Grunde dasselbe Schicksal wie Timon: er verlegt sich auf gelehrte Studien, und seine Unachtsamkeit bringt ihn um Thron und Reich. Aber sein Herz ist in der Einsamkeit der Insel geläutert; nicht allumfassender Haß, sondern allumfassende Liebe führt ihn zur Lösung. Antonius und Cleopatra sind der Inbegriff zweier aristokratischer Individualisten: sie finden die Lösung in der gänzlichen Mißachtung des Lobes oder Tadels der Welt: „Groß sein, heißt thun, was allem anderen Thun ein Ende macht.. und nicht mehr speist von jenem Koth, der Bettler nährt und Caesar." Coriolan ist aus demselben Stoff gearbeitet, wie der Alcibiades in Timon of Athens, nur voller, plastischer und radikaler: er hebt sich als Racheengel am Undank und der Gemeinheit der Menge so hoch heraus, daß sein Untergang unausbleiblich wird. Diese Höhe tragischer Größe erreicht in Timon of Athens nur Timon selber, während Alcibiades als Gegenspieler nicht bis zu den letzten Konsequenzen seiner genialen Kraft geführt wird. Timon ist recht eigentlich ein Gegenstück zu Prospero und zwar umgekehrt wie

Alcibiades zum Coriolan. Timon stirbt und Prospero lebt, Alcibiades lebt und Coriolan stirbt. War Prospero ein Denkmal geistiger Gesundheit und Kraft, so ist Timon ein Denkmal geistiger Krankheit und Kraft. Die Krankheit dieser Kraft ist das Bedingniß ihres Untergangs, und die Färbung dieses Untergangs ist mit drei Dramen aus den letzten Jahren des Dichters die gleiche: mit der „jauchzenden Bitterkeit" in Troilus and Cressida, mit der unnahbaren Selbstherrlichkeit in Antony and Cleopatra und dem hohnlachenden Eigenwillen in Coriolanus. Aber im Timon ist alles Bisherige überboten: die absolute Güte wird zur absoluten Härte, und die erkrankte Kraft setzt sich zuletzt noch als Kraft voll Ingrimm den Leichenstein selber auf den in's Grab getragenen Haß. Shakespare's eigenes Herz muß tödtlich vereinsamt und erkrankt gewesen sein: er hätte sonst nicht so aus der Tiefe der Verstörtheit schöpfen können. Der Tod scheint diese seine letzte Tragödie des Undanks, der ihn so viel beschäftigte, zu seinem literarischen Testament gestempelt zu haben:

These well express in thee thy latter spirits

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Timon V, 4, 74.

Das Drama Timon of Athens entspricht nicht dem landläufigen Begriff der Tragik, ebenso wenig wie Troilus and Cressida dem der Komödie oder Historie. Heinrich Heine war der Meinung, daß wir zur Beurtheilung von Troilus and Cressida einer neuen Aesthetik bedürften, die noch nicht geschrieben sei. Dasselbe könnte von Timon behauptet werden. Denn er ist ein Mittelding zwischen objektiver Lebenswahrheit und subjektiver Selbstsymbolik, zwischen erhabener Tragik und unwillkürlicher Komik. Dieses Zwielicht macht ihn neben Anderem für Viele so unverständlich. Allein seinen Kommentar hat Shakespeare selber geschrieben, und zwar schon in Troilus and Cressida, wo Achilles (III, 3) des Dichters eigene Lage schildert, was um so deutlicher wird, als der Mund, der die Weisheit verkündet hat, sofort hinzufügt, daß die geschilderte Lage gar nicht seine Lage sei, also Eines, der außerhalb des Spieles steht. Die Worte, die Shakespeare an passender Stelle an den Mann gebracht hat, lauten:

What, am I poor of late?

'T is certain, greatness, once fall'n out with fortune
Must fall out with men too: what the declined is,
He shall as soon read in the eyes of others
As feel in his own fall; for men, like butterflies,
Show not their mealy wings but to the summer,

And not a man, for being simply man,
Hath any honour, but honour for those honours
That are without him, as place, riches, favour,
Prizes of accident as oft as merit:

Which, when they fall, as being slippery standers,
The love that lean'd on them as slippery too,

Do one pluck down another and together
Die in the fall. [But 't is not so with me:
Fortune and I are friends.]

Und Ulysses fügt hinzu:

Time hath, my lord, a wallet at his back
Wherein he puts alms for oblivion,

A great-sized monster of ingratitudes:

Those scraps are good deeds past; which are devour'd

As fast as they are made, forgot as soon

As done; perseverance, dear my lord,

Keeps honour bright; to have done is to hang
Quite out of fashion, like a rusty mail

In monumental mockery. Take th' instant way;
For honour travels in a strait so narrow,
Where one but goes abreast; keep then the path;
For emulation hath a thousand sons
That one by one pursue; if you give way,
Or hedge aside from the direct forthright,
Like to an enter'd tide, they all rush by
And leave you hindmost;

Or, like a gallant horse fall'n in first rank,

Lie there for pavement to the abject rear,

O'er-run and trampled on: then, what they do in present,

Though less than yours in past, must o'ertop yours;

For time is like a fashionable host

That slightly shakes his parting guest by the hand,

And with his arms outstretch'd, as he would fly

Grasps-in the comer: welcome ever smiles

And farewell goes out sighing. O, let not virtue seek
Remuneration for the thing it was;

For beauty, wit,

High birth, vigour of bone, desert in service,

Love, friendship, charity, are subjects all

To envious and calumniating time.

One touch of nature makes the whole world kin
That all with one consent praise new-born gauds,
Though they are made and moulded of things past,

And give to dust that is a little gilt,

More laud than gilt o'er-dusted.

The present eye praises the present object.

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