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Shakepeare's Timon von Athen.

Von

Dr. Wilhelm Wendlandt.

I.

Die Urtheile deutscher und englischer Kritiker über das der

letzten Periode der Shakespeare'schen Produktion angehörende Trauerspiel Timon von Athen gehen seit einigen Dezennien weit auseinander, sodaß es fast als eine Missethat betrachtet werden könnte, wenn der Versuch gemacht wird, durch eine neue Meinung über diese herbe Streitfrage die vorhandene Kette von Hypothesen um noch ein Glied zu verlängern. Allein die bestimmte Ueberzeugung, daß eine Möglichkeit gegeben ist, der wachsenden Menge von Erklärungsversuchen Einhalt zu thun, nöthigt mir eine einfache, aber entschiedene Antwort auf die vielen Fragen ab: -Ist das Trauerspiel Timon von Athen, ganz so wie es uns in der ersten FolioAusgabe von 1623 überliefert ist, von der Hand Shakespeare's, oder haben wir es mit einer späteren Ueberarbeitung eines Jugendentwurfs, oder mit der partiellen Bearbeitung eines fremden Dramas, oder mit dem Erzeugniß einer nach mangelhaftem Manuskript und verballhornisierten Schauspielerrollen arbeitenden Redaktion zu thun, oder endlich mit der späteren Ergänzung eines Fragments von Shakespeare, welches ein Redaktor oder Kompilator zu der vorliegenden Tragödie zurechtmachte?

In der Frage nach der Echtheit oder Unechtheit einer älteren Dichtung, die uns durch einen frühzeitigen Druck bekannt geworden ist, kann die Wissenschaft nur dann zu wissenschaftlichen

Resultaten als solchen gelangen, wenn sie streng an der Hand der historisch-kritischen Methode auf ihrem ernsten Wege vorwärts zu dringen strebt. Diese Methode aber trägt speziell bei Fragen über Entstehung oder Echtheit Shakespeare'scher Werke ein natürliches Gesetz für die Reihenfolge der in Kraft zu setzenden Faktoren in sich. Es sind deren drei: 1) Prüfung des Zeugnißwerthes der Ueberlieferung; 2) Prüfung der äußeren Form der Dichtung durch Vergleichung mit gleichzeitig überlieferten, unbestritten echten Werken desselben Verfassers; 3) Prüfung der inneren Form durch Erwägung, ob sie in den Ideenkreis oder die Art der Gedankenbildung, sowie in den Umfang der geistigen Kraft des als Autor angegebenen Dichters hineinpaßt. - Eine Anleitung, die A. W. Schlegel bei Besprechung der Echtheit des Titus Andronicus giebt, hat auch für Timon von Athen Gültigkeit. Da sie für diese Abhandlung eine Richtschnur zu bilden geeignet ist, möge der Wortlaut1) hier folgen: „Die richtige Methode bei einer solchen Untersuchung ist, sich erst nach den äußeren Gründen, Zeugnissen u. s. w. umzusehen und ihr Gewicht zu prüfen; alsdann kommen die inneren Gründe aus der Beschaffenheit des Werkes an die Reihe. Besonders muß Beides streng auseinander gehalten werden. Die Kritiker des Shakespeare machen es umgekehrt: sie gehen von einer vorgefaßten Meinung gegen ein Stück aus und suchen dieser zu lieb die historischen Gründe verdächtig zu machen und bei Seite zu schieben. Titus Andronicus findet sich in der ersten Folio-Ausgabe von Shakespeare's Werken (ebenso Timon von Athen), die, wie bekannt, von Heminge und Condell, seinen vieljährigen Freunden und Mitvorstehern desselben Theaters, veranstaltet ist. Kann man

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sich wohl überreden, sie hätten nicht gewußt, ob ein in ihrem Repertorium befindliches Stück wirklich von Shakespeare sei oder nicht? Und will man diese ehrlichen Männer gerade in diesem Falle (auch in dem unsrigen) - eines absichtlichen Betruges beschuldigen, da sie sich sonst gar nicht so begierig zeigen, Alles zusammenzuraffen, was unter Shakespeare's Namen ging, sondern, wie es scheint, bloß die Schauspiele gaben, wovon sie Handschriften in Händen hatten."

Um nun von vornherein dem Bedenken zu begegnen, als könne

1) A. W. von Schlegel, Sämmtliche Werke, herausgeg. v. Böcking, Bd. VI, S. 304 ff.

meine Abhandlung nur auf eine Tautologie der von Ulrici aufgestellten Hypothese hinauslaufen, will ich das Endziel, dem dieselbe sich Schritt für Schritt zu nähern hat, gleich voranstellen. Das Resultat meiner Forschung ist dieses: daß die Kritik, da sie weder die Glaubwürdigkeit der Folio I untergraben kann, noch die Aufführung des Timon von Athen vor der Ausgabe dieser ersten Sammlung, also auch keine Schauspielerrollen, nach denen das Stück theilweise für den Druck zusammengestellt sein könnte, anzunehmen berechtigt ist, noch den geistig hervorragenden „ Vorgänger", dessen Stück Shakespeare bearbeitet haben soll, überzeugend nachzuweisen, d. h. namhaft zu machen im Stande ist, noch von einem späteren Redaktor vor der Folio I das geringste Positive weiß, sich mit der Annahme bescheiden muß, daß diese Tragödie, in Anbetracht der äußeren, in der Ueberlieferung und der Aehnlichkeit mit den Dramen der letzten Periode des Dichters, sowie der inneren, in Idee der Komposition und Gedankenfülle der Charakteristik liegenden Gründe für die durchgängige Autorschaft Shakespeare's, uns von der Hand des in schmerzlicher, krankhafter Verstimmung schreibenden Meisters in zum Theil nur flüchtig skizzierter Form überliefert, und daß diese handschriftliche Kladde auf nicht mehr zu ermittelnde Weise in den Bereich von Heminge und Condell und als solche unverändert in die Folio-Ausgabe von 1623 übergegangen ist.

Die Gründe für die zu beweisende durchgängige Echtheit des Timon von Athen, sowohl, was den Plan, als was die Ausführung betrifft, können nach Maßgabe der voraufgeschickten Erwägungen, nur in der Beschaffenheit der Ueberlieferung des Stückes, in einer Vergleichung des Textes, der Wendungen, des Versbaues, der Prosa mit den Dramen derselben Periode (Troilus and Cressida, The Tempest, Cymbeline, The Winter's Tale, Antony and Cleopatra, Coriolanus) und in allgemeinen psychologisch - poetischen Merkmalen gefunden werden. Vorerst aber ist eine Uebersicht und Kritik der bereits aufgestellten Hypothesen von Nöthen.

Schon die ältesten Shakespeare-Forscher empfanden den Mangel der Form dieses Stückes und setzten die Verderbniß auf Rechnung nachlässiger Abschreiber, Drucker und Korrektoren, eine Ansicht, die Coleridge1) nicht ausreichend erschien. Seine Meinung ging

1) Notes and Lectures upon Shakespeare, London 1849.

dahin, daß die ursprünglich vollendete Form dieser Tragödie, die zu Shakespeare's besten Leistungen gehört habe, später durch Aenderungen der Schauspieler verstümmelt sei. Das ist im Wesentlichen auch Ulrici's Meinung. Allein warum sollten die Schauspieler gute, glatte Blankverse, die sich bekanntlich viel leichter lernen und deklamieren lassen als ungebundene Rede, stellenweise abscheulich zerstückelt und verdorben haben? Denn das müßte der Fall sein, wenn man annimmt, daß so schattenhafte Metrik wie sie in einigen Theilen des Timon') sich findet, durch Willkür der Schauspieler entstanden sei. Und wie erklärt es sich dann, daß einzelne Partien völlig korrekt geblieben sind? Wie war es möglich, daß der Grundriß der dramatischen Idee des Timon, der, wie wir sehen werden, in großen Zügen deutlich entworfen ist, bei einer derartigen, auf jeder anständigen Bühne unerlaubten Verstümmelung seitens der Spieler nirgends verwischt wurde? Ein Schauspieler kann wohl durch schlechtes Auswendiglernen seine Rolle auf der Bühne verdorben; daß er aber die für ihn ausgeschriebenen Partien vornimmt, um sie eigenmächtig nach seinem Gutdünken zu verändern, darf doch zum Glück nur zu den Ausnahmen gerechnet werden. Oder es müßte nachgewiesen werden, daß die Regie auf der altenglischen Bühne gar keine kontrolierende Befugniß gehabt habe.

Charles Knight2) ging zu der naheliegenden und auch etwas wohlfeilen Ansicht über, daß Shakespeare das Stück eines unbekannten Dichters für die Bühne zugestutzt habe, und zwar in der Weise, daß er die eine Hauptfigur, die des Timon, plastisch herausarbeitete, während er die übrigen Partien des Dramas nur mit some few occasional touches here and there bedacht haben soll. Er bleibt den bei der Bedeutsamkeit sämmtlicher Partien des Dramas erforderlichen Nachweis schuldig, wessen Drama Shakespeare in einer Zeit seiner vollendetsten geistigen Reife mit so beispielloser Ehre bedachte. Denn seine gesammte bisherige Praxis, wie er sie besonders in Taming of the Shrew und All's Well That Ends Well an den Tag legte, spricht gegen eine solche partielle Bearbeitung einer fremden Konzeption; und aus seiner letzten Periode haben wir überhaupt kein Beispiel von unveränderter

1) z. B. Akt III, Sc. 1, 2 u. 3.

2) Pictorial Edition of Shakspere 1838. Bd. I, S. 333 ff. of Shakspere.

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Benutzung einer vorhandenen, bereits populären Schablone. Dagegen spricht auch, wie Ulrici nachdrücklich betont, das Lebensalter und die hohe Selbstständigkeit des Dichters, der schwerlich noch zur Zeit seiner ausgeprägtesten individuellen Entwicklung das Werk eines anderen Dichters umgearbeitet haben wird. Er hatte gewiß bei seiner Produktivität und der Geläufigkeit, womit ihm Alles von der Hand ging, an der Ausführung seiner selbsteigenen Konzeptionen vollauf Genüge.

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Nichtsdestoweniger haben die äußeren, formalen Gründe für die Annehmbarkeit dieses vom philologischen Standpunkt aus betrachtet immerhin geistreichen Einfalls von Knight keinen Geringeren als Nicolaus Delius1) bewogen, von seiner ursprünglichen, in seinem Buche „Die Tieck'sche Shakespeare-Kritik" (1846) niedergelegten Ansicht, daß Shakespeare's Timon ein später überarbeitetes Jugendwerk von ihm selber sei, nach zwanzig Jahren wieder abzuschwenken und mit dem ganzen Rüstzeug seiner langjährigen Shakespeareforschung die Knight'sche Hypothese wissenschaftlich auszubauen. Er macht dabei den umgekehrten Weg wie die Aesthetiker Gervinus und Ulrici: statt daß er um des bedeutenden Inhalts willen die mangelhafte Form in den Kauf nimmt, sucht er auf Grund der mangelhaften Form die Bedeutung und den Zusammenhang des Inhalts zu entwerthen. Die Gründe gegen ein später bearbeitetes Jugendwerk liegen allerdings auf der Hand, da Shakespeare in der Periode des Uebermuths, Humors und Erfolgs wohl kaum auf den Gedanken einer Tragödie des Menschenhasses und der Weltentzogenheit gekommen sein kann, und überdies der bloße Entwurf des Timon die Hand eines routinierten Theaterdichters verräth. Dagegen werden die Gründe für die Haltbarkeit oder Unmöglichkeit der Knight'schen Hypothese im Folgenden an der Hand der zitierten Abhandlung von Delius, welcher mit Knight im Wesentlichen übereinstimmt, zu prüfen sein. Delius kommt a. a. O. zu dem Resultat: „daß der Plan zu Timon von Athen weder von Shakespeare entworfen, noch von ihm wesentlich modifiziert, sondern im Ganzen unangetastet so gelassen ist, wie ein gleichzeitiger Anonymus ihn ersonnen und ausgeführt; ferner: daß Shakespeare dieser fertigen Arbeit seines Vorgängers, ohne Rücksicht auf Zusammenhang oder einheitliche Haltung, mit Ausmerzung der entsprechenden Scenen oder Reden des Anonymus, solche Scenen

1) Jahrbuch II, 335 ff.

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