Imagini ale paginilor
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ihn geworfen. Unter dem Vorwande, wissen zu wollen, ob es nicht bald Essenszeit sei, ruft sie Lucetta zurück, und, da diese den Brief absichtlich fallen läßt, verlangt sie ihn, indem sie sich stellt, als wüßte sie nicht, daß er der von Proteus geschickte sei, sondern hielte ihn für einen Liebesbrief an Lucetta. Nachdem sie ihn gelesen, zerreißt sie ihn in geheucheltem Ärger, ist dann aber wirklich darüber ärgerlich, daß sie so schöne Worte zerrissen. Sie küßt die einzelnen Stücke, und eines, auf welchem ihr Name neben dem des Proteus steht, faltet sie so, daß sich die beiden, wie sie sagt, nun küssen, umarmen, streiten können, kurz Alles thun, was sie wollen. Diese Scene zeigt eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung mit der Darstellung Montemayor's. Nachdem Felix Felismena bei ritterlichen Spielen und namentlich auch dadurch, daß er auf seinem stolzen Rosse vor ihrem Fenster auf- und abgeritten, seine Liebe zu erkennen gegeben, gewann er ihre Zofe Rosina für sich und händigte ihr einen Brief für ihre Herrin ein; aber diese wies ihn scheinbar ärgerlich zurück. Da nun Rosina um Verzeihung bat und sich mit dem Briefe entfernte, that es Felismena leid, daß sie ihn nicht gelesen; allein sie schämte sich, ihn geradezu zu fordern. Als Rosina am Abend kam, um ihrer Herrin beim Entkleiden behilflich zu sein, aber keinen neuen Versuch machte, sie zur Annahme des Briefes zu bewegen, wollte Felismena ihr einen solchen nahe legen, indem sie sagte: „So wagt also Don Felix, ohne Rücksicht auf meinen guten Ruf an mich zu schreiben? Allein Rosina bat nur abermals um Verzeihung, daß sie ihre Herrin erzürnt. Die Folge war nun, daß Felismena eine sehr schlechte Nacht hatte. Als ihr aber Rosina am nächsten Morgen abermals behilflich war, ließ sie den Brief absichtlich fallen. Felismena that so, als hielte sie ihn für einen Liebesbrief an Rosina, und bestand darauf, ihn zu lesen. Dieser Brief, den Montemayor im Wortlaut giebt, rührte Felismena's Herz: sie bat Rosina ihrerseits um Verzeihung und vertraute sich ihr vollständig an. Manche von den Abweichungen bei Shakespeare ist gewiß schon auf Rechnung des älteren Dramas zu setzen, vor allem die kürzere Zeit zwischen dem Zurückweisen und dem Annehmen des Briefes, welche nothwendig war, wenn Alles in einer Scene abgemacht werden sollte. Auch die meisten sonstigen Änderungen machen die Scene dramatisch wirksamer: so das Besprechen der einzelnen Bewerber, das Shakespeare später noch einmal und zwar ausführlicher im Kaufmann von Venedig (I, 2) angebracht hat, das Zerreißen des

Briefes und das verliebte Tändeln mit den Stücken. Der Umstand, daß Julia beim Vater ist, während Felismena im Hause ihrer Großmutter lebt, macht eine Erklärung überflüssig. Der Name Lucetta statt Rosina könnte von Shakespeare herrühren, da dieser mit Vorliebe Namen braucht, die mit lux zusammenhängen.

In der dritten Scene beschließt Antonio, Proteus' Vater, seinen Sohn wegzuschicken, damit er sich in der Welt umsehe, und zwar, da sich gerade günstige Reisegelegenheit bietet, schon am nächsten Tage. In diesem Augenblicke kommt Proteus, in die ganz seinen Wünschen entsprechende Antwort Julia's so versenkt, daß er Niemand sieht. Da ihn sein Vater fragt, was für einen Brief er lese, scheut er sich, die Wahrheit zu sagen, da er befürchtet, daß Jener seine Wahl mißbilligen könnte, und so behauptet er, Valentin habe ihm geschrieben, daß er in Mailand glücklich sei und sich ihn zum Genossen seines Glückes wünsche. An diese Lüge seines Sohnes knüpft der Vater die Mittheilung, daß er Valentin schon morgen nach solle: Proteus' Bitte um kurzen Aufschub hat keinen Erfolg. Wir finden hier mehrfache Abweichungen von Montemayor. Bei diesem ist Felismena's erster Brief, welcher, wie der von Felix, im Wortlaut mitgetheilt ist, keineswegs so entgegenkommend wie die Antwort Julia's, deren Inhalt wir freilich nur aus den entzückten Aeußerungen des Liebhabers entnehmen können. Es bedarf bei Montemayor noch wiederholten Hin- und Herschreibens, ehe zwischen den Liebenden Alles im Reinen ist. Dann aber vergeht fast ein ganzes Jahr, ehe sie getrennt werden. Dramatische Rücksichten verlangten nothwendig raschere Entwickelung. Ferner schickt bei Montemayor der Vater Felix deshalb weg, weil er seine Liebe zu Felismena nicht gern sieht. Bei Shakespeare will der Vater nur für die weitere standesgemäße Ausbildung seines Sohnes sorgen, von seiner Liebe zu Julia weiß er Nichts. Vielleicht wollte Shakespeare seinem Proteus nicht den Vorwand lassen, daß er sich als guten Sohn zeigte, wenn er Julia untreu würde. Wie der Vater geheißen, erfahren wir bei Montemayor nicht: Shakespeare giebt ihm den bei ihm häufig vorkommenden Namen Antonio.

In der ersten Scene des zweiten Aktes sehen wir Valentin, der sich früher so viel Mühe gegeben, Proteus die Liebe zu Julia auszureden, jetzt selbst in Silvia, die Tochter des Herzogs von Mailand, verliebt. Sie hat ihm am Abend vorher den Auftrag ertheilt, für sie einen Brief an Jemand aufzusetzen, den sie liebe. Da er ihr nun einen überreicht, findet sie diesen nicht rührend genug.

Er solle ihn behalten und einen anderen schreiben und, wenn dieser ihm gefalle, ihn ebenfalls behalten. Valentin versteht ihr Benehmen nicht; erst sein Diener Flink muß ihn belehren, daß Silvia so seine vielen Liebesbriefe beantworte, indem sie zeige, daß er eben der Jemand sei, den sie liebe. Die Scene ist wohl vollständig Shakespeare's Eigenthum. Die „,Tragædia" beginnt sogleich mit der Verlobung von Romulus und Hyppolita durch den Fürsten.

In der zweiten Scene des zweiten Aktes, während deren wir uns wieder in Verona befinden, nimmt Proteus von Julia Abschied unter den eifrigsten Betheuerungen seiner Treue. Die Liebenden tauschen dabei Ringe aus. Shakespeare weicht hier von Montemayor ab, der ausdrücklich erzählt, daß Felix' großer Schmerz über seine Trennung von Felismena ihn hinderte, sie von seiner Abreise zu benachrichtigen. Aber Abschiedsscenen sind dramatisch immer wirkungsvoll, und außerdem ist der Austausch der Ringe eine nothwendige Voraussetzung für die Lösung des Konfliktes, wie sie Shakespeare gewählt hat.

Auch in der nächsten Scene handelt es sich um einen Abschied. Lanz, der tölpelhafte Diener, der Proteus begleiten soll, stellt mit Hilfe seiner beiden Schuhe, seines Stockes und seines Hutes dar, wie er eben von seiner Familie Abschied genommen. Er will damit beweisen, daß sein Hund alles Mitgefühls bar sein müsse, weil er es ansehen konnte, wie die Mutter weinte, der Vater jammerte, die Schwester schrie, die Magd heulte und sogar die Katze die Hände rang, ohne selbst eine Thräne zu vergießen oder auch nur ein Wort zu sagen. Lanz entspricht sowohl Felix' Diener Fabius bei Montemayor, als Julius' Diener Grobianus in der „Tragædia". Einen Köter hat freilich keiner von diesen, aber in dem deutschen Stücke kommt wenigstens eine Stelle vor, deren englisches Vorbild möglicherweise Shakespeare darauf gebracht hat, dem Diener einen solchen beizugeben. Im zweiten Actus bemerkt nämlich Grobianus, daß Julius ihn durch Pfeifen ruft:,,Mein Herr muß ja meynen, daß er einen Hundt vor sich habe. [Julius pfeiffet noch einmal.] Grob. Pfeiff du immer hin, ich bin dein Hundt nicht. Julius. Jung, hastu nicht gehöret, daß ich dich geruffen, wornach siehestu dann? Grob. Nein gnädiger Herr, ich hab kein Ruffen gehört, sondern Pfeiffen, und gemeinet, ihr Gn. hetten den Hund zu sich gepfiffen." Mag dem sein, wie ihm wolle: jedenfalls ist diese Scene ganz Shakespeare's Erfindung. Die vielen (komischen Episoden mit Flink und Lanz dienen nicht nur dazu, die etwas knappe Haupthandlung zu er

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gänzen, sondern auch den Eindruck des ernsten Konfliktes in derselben zu mildern.

In der vierten Scene des zweiten Aktes sind wir zunächst Zeugen eines vor Silvia und Lanz geführten Wortgefechtes zwischen Valentin und dem reichen und vom Herzog begünstigten, aber äußerst dummen und dabei noch filzigen (II, 4, 43 ff.) Verehrer Silvia's, Sir Thurio. Dieser Theil wird ganz von Shakespeare erfunden sein, da weder bei Montemayor noch in der „Tragædia“ irgend eine Thurio entsprechende Person vorkommt. Thurio soll offenbar als Folie Valentin's dienen, außerdem aber auch erklären, warum aus Silvia und Valentin nicht ebenso ohne Weiteres, wie aus Hyppolita und Romulus in der „Tragædia", ein anerkanntes Brautpaar wird. An Brooke's Grafen Paris erinnert er insofern, als der Vater ihn auf alle Weise begünstigt, während die Tochter einen Anderen liebt. -Im weiteren Verlauf der Scene kommt der Herzog mit der Nachricht von Proteus' Ankunft und bald darauf dieser selbst. Bei Montemayor wird Felix an den Hof der Prinzessin Augusta Caesarina geschickt. Bei Shakespeare finden wir dafür aus dem Original der „Tragedia" den Hof eines kleineren Fürsten. Wo dieser Hof liegt, wird in der „Tragædia“ nicht gesagt; es ergiebt sich nur, daß er von Padua nicht allzu weit entfernt ist. Shakespeare versetzte ihn nach Mailand; es ist aber merkwürdig, daß er aus Versehen II, 5, 2 Padua statt Mailand geschrieben hat. Ein weiteres Versehen ist es, daß er mehrere Male (I, 3, 27. 38. 41. 58. II, 3, 5) statt vom Herzog von Mailand vom Kaiser sprechen läßt. Hatte etwa das Drama von Felix und Philiomena statt der Prinzessin Montemayor's einen Kaiser? - Sowie in dem Lustspiel die beiden Freunde allein bleiben, vertraut Valentin Proteus nicht bloß seine Liebe zu Silvia an, sondern auch den mit ihr verabredeten Fluchtplan. Auch für diesen Theil der Scene wird Shakespeare keine Quelle gehabt haben; aber die Absicht Valentin's, Silvia aus ihrem Thurm, zu welchem der Herzog selbst den Schlüssel hat (III, 1, 36), mit Hilfe einer Strickleiter zu entführen, scheint durch Romeus' Strickleiter bei Brooke veranlaßt zu sein. Am Schluß der Scene erklärt Proteus in einem Selbstgespräch, daß in seinem Herzen seine bisherige Liebe zu Julia durch eine plötzlich erwachte Leidenschaft für Silvia verdrängt sei. Er will diese zu unterdrücken, wenn das aber nicht gelinge, Silvia zu gewinnen suchen. So auf Knall und Fall verliebt sich weder Montemayor's Felix in Celia, noch der Julius der „Tragedia" in Hyppolita. Aber das rasche Auflodern der

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Liebesflamme paßt ganz gut zu dem Charakter des Proteus, wie sich ihn Shakespeare gedacht hat, da ja bei ihm am Schluß des Lustspiels ebenso plötzlich ein Rückschlag eintritt. Wir werden aber auch hier wieder an Brooke's Gedicht erinnert: auch in Romeus' Brust wird, da er Juliet zum ersten Male sieht, sofort die alte Leidenschaft durch die neue erstickt. Allerdings ist Romeus' erste Liebe unerwidert geblieben, auch verräth er durch die zweite keinen Freund. Damit nun aber Proteus nicht allzu verächtlich erscheine, läßt ihn der Dichter doch wenigstens erklären, daß er versuchen wolle, seiner Leidenschaft Herr zu werden: freilich ahnen wir, daß er unterliegen wird.

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In der fünften Scene des zweiten Aktes fragt Flink Lanz, ob Proteus Julia heirathen werde. Lanz weist ihn an seinen Hund: wenn dieser „Ja" sage, werde die Hochzeit stattfinden; ebenso, wenn er „Nein“ sage; ebenso, wenn er mit dem Schwanze wackle und gar Nichts sage. Ohne Zweifel ist Shakespeare hier von seinen Quellen ganz unabhängig.

Die sechste Scene des zweiten Aktes ist ein Monolog Proteus'. Er sucht seine doppelte Untreue vor sich zu entschuldigen. Die Absicht seines Freundes, in der nächsten Nacht mit Silvia zu fliehen, will er dem Herzog verrathen. Wenn Valentin dann verbannt wird, hofft er den einfältigen Thurio leicht zu beseitigen. In der „Tragædia" verreist Romulus nach der Verlobung, um seinen Eltern von derselben Mittheilung zu machen. Seine Briefe unterschlägt Julius und fälscht solche, nach denen er treulos erscheint. So tief durfte Shakespeare seinen Proteus nicht sinken lassen, da er Alles zu einem glücklichen Ausgang führen wollte.

In der nächsten Scene (II, 7) befinden wir uns zum letzten Male in Verona. Julia beräth mit Lucetta, wie sie Proteus, zu dem sie ihre Liebe treibt, am besten nachreisen könne, und entschließt sich dazu, einen Pagenanzug anzulegen, bei dessen Besorgung sie ihre Zofe bittet, ihr behilflich zu sein. Den Keim zu dieser Scene bietet Montemayor. Bei ihm folgt aber Felismena ihrem Felix nicht bloß aus Sehnsucht, sondern noch mehr aus Eifersucht, weil sie fürchtet, er könne sie über den schönen Damen des Hofes vergessen. Shakespeare's Julia ist in ihrem unbedingten Vertrauen zu Proteus um so rührender. Auch Felismena läßt sich bei ihren Reisevorbereitungen von einer ihrer erprobten Freundinnen und Behüterin ihrer Geheimnisse helfen. Mit dieser Bezeichnung, unter welcher ohne

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